Novelle

[:en]Headquarters for Experimentalism [:de]Zentrale für Experimentelles[:]

Ableben in der Geisterwohnung

Von Clarissa Lempp.

Ich lebte einmal in einer Geisterwohnung und was soll ich sagen, es ging nicht gut. Die Bude war ein übler Ort. Das hab ich ziemlich schnell begriffen. Kalte Stellen, knallende Türen, blutende Wände und greinende Kinder in der Nacht. An Schlaf war nicht zu denken und die Milch wurde selbst im Kühlschrank schlecht. Die lebende Biomasse in der Tote-Seelen-Zone sorgte für Spannungen. Negative Energien überall und als illegale Untermieterin konnte ich nicht mal Mietminderung beanspruchen. Die erste Zeit verbrachte ich verwundert, lauschte dem elektrischen Rascheln in der Luft und dem metallenen Klopfen der Heizung. Starrte auf das brennende Kreuz in den Fliesenfugen, das zwischen den Füßen aufloderte, wenn ich auf der Toilette saß. Ich ergab mich schnell meinem Schicksal, weil ich eh nie eine Kämpfernatur war, und begann mit den Gespenstern zu sprechen. Ich begrüßte sie morgens mit einem unpassend fidelen “Hallo Geister!” und kommentierte meine Tagesroutine für sie. “Jetzt mach ich mir einen Kaffee”, sagte ich dann oder: “Ich schneide mir die Fußnägel. Sie reißen mir die Strümpfe kaputt.”

Meine Aufmerksamkeit besänftigte die Geister nicht. Im Gegenteil. Sie suchten wahrscheinlich nur ein Publikum. Es polterte, spukte und pfiff mit jedem Tag schauriger durch die Räume. “Hui” hier, “Buh” da. Im Grunde war die ganze Nummer enttäuschend, wenn ich es mit den Horrorfilmen meiner Jugend verglich, aber es bereitete mir doch spürbar Unbehagen. Entgegen meiner Gewohnheit verließ ich also die Wohnung und lief eines Abends durch die Stadt. Es war eine angenehme Frühlingsnacht. Ich überquerte den Oranienplatz, vorbei am Supermarkt und über den Boden, auf dem vor wenigen Monaten noch das Refugee-Camp stand. Jetzt war es geräumt. Nur noch die Erinnerung daran waberte über den gelben Kiesel. Ich ging weiter, Richtung Wasser. Den Damm entlang, auf die Trauerweiden zu. Im Ligusterbusch raschelten Ratten und ein sportlicher Mensch joggte in der Dunkelheit vorüber. Eine Stirnlampe im Gesicht, wie ein Höhlenforscher. Rein ins Labyrinth des Molochs. Irgendwann beschloss ich, dass ich nicht ewig weiterlaufen könnte. Bis dahin hatte ich mich vom Kanalverlauf mittragen lassen. War ihm gefolgt, am Ufer entlang, das sich an einigen Stellen ablöste, zerbröselte und sich dem Wasser übergab. Berlin ist ja bekanntermaßen auf Sand gebaut.

Zurück in der Wohnung erwartete mich eine Geisterperformance par excellence. Tassen knallten vom Tisch, das Licht flackerte im Strobo-Rhythmus, die Gruselstimmen drangen aus jedem Abfluss und der Fussel-Teppich bewegte sich wie ein müder Hund durch den Raum. Die Wände ächzten, die Böden spalteten sich, Blut quoll hervor. Ich dachte an die Kaution und fluchte: “Was wollt ihr, ihr verdammten Toten?”, doch wie erwartet, kam keine Antwort. Ich schob das Bett in eine warme Ecke im Schlafzimmer, kroch unter die Decke und versuchte die paranormalen Aktivitäten auszublenden. Das passte den Geistern gar nicht. Sie zogen an mir. Zwickten mich. Schüttelten den Bettrahmen und schleuderten jetzt Kugelblitze durch das Zimmer.

Unter meinem Daunenschutzmantel schob ich in meinem Kopf hin und her, was ich tun könnte. Es war spät in der Nacht und es gab nichts und niemanden, zudem ich gehen konnte. Ich war nicht sonderlich sozial integriert, trotz vieler Jahre Mühsamkeit in der Stadt. Mein Leben folgte keiner Form. Es waren nicht mal Verhältnisse, in denen ich mich bewegte, eher Begebenheiten und Missgeschicke. Es gab Morgen, da wachte ich so außer mir auf, dass ich einige Stunden nicht mal sagen konnte wie ich hieß. Fiel es mir dann wieder ein, schrieb ich es schnell auf. Abends kam mir das ganze so lächerlich vor, dass ich den Zettel wegwarf. Bis ich wieder namenlos war und so fort. Ich war gefangen in meiner eigenen Identitätslücke. Manchmal gab es den Versuch ein Auge zu finden, das mir Sinn verlieh. Aber es war anstrengend durch die Nächte und Straßen zu irren, zu trinken oder Pillen zu werfen, bis da eine Frau war oder ein Mann oder eine Person, die sich der Zuschreibung ihrer Genitalien entzog. Sex mit ihnen zu haben, bei ihnen zu bleiben, bis der Morgen anbrach und ich ihren und meinen Namen vergessen hatte. Das Klappern der Schränke riss mich aus meiner Grübelei. Ich versuchte etwas Schönes in meinem Gehirn aufblühen zu lassen. Die positive Stofflichkeit meiner Gedanken könnte die bösen Geister vielleicht bezwingen. Aber es gelang mir nicht. Mein Gehirn war wie ein Wattebausch, der alles verschlang und so blieb ich dabei dem Spuk durch die Nacht beizuwohnen.

Am nächsten Morgen waren die Geister fort oder im Geisterschlaf und ich eilte ins Tierheim, um mir eine Katze zu besorgen. Ich redete mir ein mehr Lebewesen in der Wohnung könnten der Totenüberzahl etwas entgegensetzen. Das arme Tier saß aber nur in der Ecke und fauchte in alle Richtungen. Die Augen weit aufgerissen, die kleinen Vampirzähne bereit zum Biss. Zwei Tage lang ließ ich mich von der Katze anschreien und kratzen. Sie hasste mich und wünschte sich wahrscheinlich sehnlichst die stumpfe Sicherheit des Tierheimkäfigs zurück. Als ich die Tür für den wöchentlichen Einkauf öffnete, raste sie an mir vorbei, in den dunklen Gang und war verschwunden. Ich war wieder allein mit dem Spuk und jetzt fühlte es sich noch beängstigender an als zuvor. Ich bestellte also online einen Fernseher und glotzte von morgens bis tief in die Nacht. Talkshows, Nachrichten, Seifenopern, Hollywood-Schnulzen, Rom-Coms, Sci-Fi. Nichts davon drang durch. Es war eine Ablenkungsmaschine, die ihre Dienste tat. Irgendwann hörte ich auf nachzudenken und zu tun. Ich aß nicht mehr, ich trank nicht mehr und musste nicht einmal mehr pinkeln. Ich war jetzt genauso tot wie die Gespenster. Ich machte “Hui” und “Buh” und eines Morgens fand ich mich im Gang. Liegend, ganz fahl im Gesicht und mit aufgerissenen Augen. Ich schüttelte ein wenig an mir, trat mir in den Bauch, aber da rührte sich nichts. Mein Körper strömte bald einen schrecklichen Gestank aus und zerlief zu einem braunen, klebrigen Schleim. Die Flecken würden nie mehr aus dem Teppich gehen. Aber das interessierte mich nicht. Ich spukte durch die Geisterwohnung und stellte fest, dass mit der Abwesenheit der Zeit die Welt erträglich wurde.

Bildquelle: (c) DA

Next Post

Previous Post

Leave a Reply

© 2024 Novelle

Theme by Anders Norén