Novelle

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Der Sänger

Von Ingeborg Backhaus.


Als Über die Straße entlang ging, fiel Regen. Das hat nichts zu bedeuten, sagte er sich. Er ging die Straße entlang. Auf einer feuchten Hauswand glänzte schwarz ein Graffitti..; Über dachte an seine Stimme: Die feuchtkalte Luft war nicht gut. Er brauchte klares, seidiges Wetter. Die Luft musste leicht in ihn einschweben können; sie musste ihn auskleiden können, wie der Klang, der ihm hernach aus seinem Körper und über die Stimmbänder rinnen sollte in vollen, berührenden Tönen.

Über bog um die Ecke. Da stand es vor ihm: ein dunkles Gebäude. Er sah die magere Öffnung. Er fühlte in seiner Jackentasche nach Papier; merkte das Schwitznass an den Händen und sagte sich: das hat nichts zu bedeuten.

Er hatte ein Papier in der Tasche. Es war eine Ladung: > Herr Über, wir bitten Sie zu einem Gespräch. Es sind Klagen gekommen.. Datum .Termin.<

Über steht nun im Foyer. Die Kamera ist auf ihn gerichtet. Aus einer Loge rollt ein Männchen heran. Es hat einen krummgebogenen Rücken. Über zeigt sein Papier. Das Männchen nickt. Über ist höflich und lächelt. Er lächelt zum Ausgang hinüber. Er lächelt zum Fahrstuhl. Er lächelt sich schier entzwei. Das Männchen weist auf den Fahrstuhl. Die Türe springt auf. Über tritt ein, die Türe klappt zu. Über wird heiß. Er fühlt sich ohne Gewicht auf dem weichen Velour.

Über geht mit kräftigen Schritten und gegen sich an. Er geht und geht die Gänge entlang. Spurlos gleitet seine Gestalt auf den Monitoren dahin. Er geht solang, bis er er zaghaft geworden ist.

Da öffnet sich eine Tür. Ein Mann tritt heraus. Er legt Über die Hand auf den Rücken und geleitet ihn durch die Tür. Über wird Platz angeboten und etwas Geduld.

Über wartet. Wartet und wartet und er begreift, dass sein Warten zu dem Papier gehört in seiner Tasche, zum Gespräch, Datum, Termin. Ein Mensch tritt ein und gibt sich heiter: > Entschuldigen Sie bitte! < Er drückt Über zurück in den Sessel: > behalten Sie Platz <. Er setzt sich nieder. Seine Schuhspitzen glänzen. > Wollen Sie Kaffee? Oder darf es was anderes ein? – Nein. Also Kaffee.

Er lächelt Über mit den Zahnreihen an. – > Uns liegt an freundlicher, menschengerechter Stimmung! – Wobei ich auch schon beim Kern bin, Herr Über. Sie wissen, es sind uns Klagen gekommen. Nun sind Klagen in der Regel nicht mein Gebiet, aber bei Ihnen will ich eine Ausnahme machen. Ja, denken Sie nur: Bei Ihnen werde ich sentimental. – Sie müssen wissen, mein Über,- mein Urgroßvater war Sänger. Ein richtiger, großartiger Sänger. Ja, so war das. Aber nun zur Sache.

Du weißt, unsere Gesellschaft hat den Menschen zu dienen. Ihnen allen. Du weißt es. Also nicht dir . Es sind Klagen gekommen. Es stört dein Gesang. Du trällerst den Leuten die Ohren voll. Du singst. Du übst. Ich frage, wozu. Wer wollte dich engagieren? –

Aber das ist es nicht, was uns angeht. Kleinlich war die Gesellschaft nie. Wir haben den Menschen zu dienen; wir scheren uns nicht um Zwiste.

Aber wir werden wach bei Gefahr. Noch sind alle zufrieden. Es gibt keine Wünsche. Es gibt keinen Eifer, keine Sehnsucht, keine Gewalt; nichts, was der eine dem andren voraus hat. Und da kommst du! – Verfällst deiner Stimme, hoffst auf Einmaligkeit und trällerst dein Bekenntnis in jedermanns Ohren. Du verletzt die Ruhe, mein Über und brichst in den Herzen eine längst überwundene Erinnerung auf. Noch wissen sie nicht, aber ahnen, dass eine Zeit war vor ihnen, die wir nicht wollen.

Noch bricht niemand auf. Unsere Gesellschaft hat gute Arbeit getan. Wir können uns auf die Menschheit verlassen. Aber Menschen wie du sind für die Gesellschaft eine Gefahr. Du machst sie nörgelig, meine Menschen. Sie bilden sich ein, dass etwas fehlt. Über, ich sage es deutlich: Hör auf zu singen! Und sage nicht, die Gesellschaft sei nicht menschlich gewesen. Ich bin es, der dich warnt. Du machst die Menschen gefühlig. Dein Gesang lässt sie Dinge ahnen, die im Verborgenen schlafen, die nicht hierher gehören, Über: Du bist eine Gefahr. –

Sei`s drum: du bist einer von ihnen. Wir haben allen zu dienen. Wenn ich dich jetzt nicht für die Gesellschaft gewinne, bist du verloren. Ein kranker, romantischer Träumer. Du wirst allein sein, weil du störst. Und weil das so ist, bist du maßlos gefährdet. Man wird dir die Türe eintreten; man wird dich aussondern kommen. Man wird es mit Recht tun, denn du bist es, Über, der gegen den Strom schwimmt.<

Als Über auf seinem Bett liegt, fühlt er seine Erschöpfung. Schwer liegen die Gliedmaßen auf. Seine Augen lächeln dumm, und zwischen den Lippen schiebt sich seine Zunge heraus. Sein Atem wird ruhig. Ihm läuft der Speichel aufs Kissen. Über hört einen Gesang. Dann pocht es. Dann Stimme. Einen feinen hellen Gesang. Und wieder das Pochen. Stimmen. Sie treten Über die Tür ein. Über beißt zu. Auf das Bettzeug fällt etwas Zunge.


Bildquelle: (c) DA

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