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Die Luftballons

Von Marlene Schulz.

Clarissa hätte einfach nur nervös mit dem Kopf geschüttelt. Stumm mit dem Kopf geschüttelt, die Augenbrauen zusammengezogen und die Stirn gekräuselt. Sie hätte den Mund so unvorteilhaft verzogen und in Zeitlupenbewegung ein leichtes Doppelkinn gemacht [sie sah furchtbar hässlich aus, wenn sie so guckte].

Ich hätte dann schon gewusst … aber ich wusste es auch so. Spielte keine Rolle mehr. Clarissa hatte mich rausgeschmissen [sie hat mich tatsächlich vor die tür gesetzt. pack die koffer und geh. hab ich gemacht].

Jenny, ich halt’s nicht mehr durch, hatte sie gesagt. Als hätte sie mit mir etwas durchzuhalten gehabt [jenny sagte sie immer nur, wenn was nicht stimmte].

So viele rote Socken gibt’s gar nicht, die meine Wut schlucken könnten, sagte sie, bevor sie mir den Wohnungsschlüssel abnahm. Sie war sauer auf mich, ständig. Brachte sich selbst wegen allem in Rage [ihr kopf glühte. sie wird mit ihrem bluthochdruck aufpassen müssen. nicht mehr meine baustelle].

Das mit den roten Socken war ein Tick von ihr. Sie meinte, wenn sie die anhätte, draufschauen würde (als hätten sie Warnschilder auf denen stand: Reg dich nicht auf!), würde sie nicht völlig ausrasten [ständig kam sie mit so einem kram an, den sie irgendwo gehört hatte].

Ich merkte keinen Unterschied. Immerzu hatte sie rote Socken getragen, erst nur ab und zu und am Ende sogar nachts [nachts socken ist der hammer. echt jetzt]. Einmal fand sie, ich könnte mich nützlicher im Haushalt machen [haha], mal trank ich ihr zu viel [ich sag jetzt nicht, dass sie selbst gesoffen hat wie ein loch]. Mal fand sie, ich müsste meine Kunst (ich male) stärker vorantreiben, so würde das ja nie etwas werden [sie hat null plan von kunst. wirklich]. Wenn ich heimlich rauchte, ertappte sie mich [ich böses mädchen] und hielt mir einen Vortrag [du sollst und du wirst und kommst nie und bringst dich]. Entweder das, oder eben ihr kleines nervöses Kopfschütteln mit diesem erschütternden Augenbrauenzusammenziehen. Genau das hätte sie aufgelegt, wenn sie gewusst hätte, dass ich mich für die Sache mit den grünen Luftballons gemeldet hatte [sie hätte sich nicht mehr eingekriegt].

Das mit den grünen Ballons war so ein Experiment. Dafür gab es Geld und ich brauchte Geld. Es war nicht viel, aber die Arbeit war nicht schwer. Wobei, ganz leicht war sie auch nicht, denn sie ging ein bisschen an körperliche Grenzen.

Das Experiment bestand darin, dass achtundvierzig Leute, genau genommen vierundzwanzig Männer und vierundzwanzig Frauen, gesucht wurden, die grüne Luftballons mit dem Mund aufbliesen, verknoteten, von sich weg in den Raum stießen, dann der nächste [ich fand‘s cool]. Alle vierundzwanzig Frauen und vierundzwanzig Männer waren jeweils getrennt in einem großen Raum, der sich täglich neu mit grünen Luftballons füllte [alles voller ballons]. Wenn die Tagesration aufgepustet war, bewegten wir uns noch eine Weile im Raum. Wir konnten uns hinsetzen, herumlaufen, stehenbleiben, nur nicht die Augen schließen. Jeden Tag die gleiche Prozedur.

Es gab zwei weitere Gruppen, vierundzwanzig Frauen und vierundzwanzig Männer, die jeweils in einem anderen Raum das Gleiche wie wir taten. Sie hatten rote Luftballons. Leute mit Rot-Grün-Schwäche nahmen sie nicht.

Es war ein Forschungsprojekt, das die Frage stellte, ob die Menschen mit den roten Ballons sich anders verhielten als wir mit den grünen und ob die Männer unter den Roten anders waren als die roten Frauen und die grünen Männer und ob die grünen Frauen etwas anderes mit und / oder wegen der Luftballons machten als die roten Frauen, die grünen und die roten Männer [die leute, die uns beobachteten, nahmen das alles ganz schön ernst] und das, obwohl alle den gleichen Auftrag hatten.

Wenn ich es recht bedachte, und jetzt, wo ich wusste, wie es ausgegangen war, hätte Clarissa eigentlich gut zu den Roten gepasst [sie hätte so gut da rein gepasst. wie die faust].

Mich hatten sie den Grünen zugeteilt, was mir sehr recht gewesen war. Das Experiment sollte achtundvierzig Tage dauern [48]. Man musste aufpassen, nicht zu schnell hintereinander die Ballons aufzublasen. Einmal war mir sehr schwindlig geworden, so dass ich fürchtete, mein Engagement zu verlieren [ich war wirklich kurz davor].

Eine Frau in meiner Gruppe lief die ganze Zeit ohne Schuhe und in Nylonstrümpfen umher. Manchmal platzte ein Ballon. Sie schrie jedes Mal laut auf. Anfangs hatte sie rot lackierte Fußnägel, die durch die Nylons hindurchschienen. Nach ein paar Tagen fiel mir auf, dass sie die Zehen jetzt grün lackiert hatte [tja]. Von da an schrie sie nicht mehr, wenn ein Ballon platzte, sie bekam dafür aber jedes Mal Schluckauf [und den nicht zu knapp].

Einmal am Tag machten wir eine Pause. In der Pause füllte sie Kreuzworträtsel aus und sprach vor sich her: Falsche Richtung mit vier Buchstaben … [ich kam nicht drauf]

Das mit Clarissa und mir wäre auf Dauer nicht gut gegangen [egal wie viele (falsche) himmelsrichtungen es gegeben hätte].

Kleinigkeitskrämer, sechs Buchstaben …

Pedantisch war sie [und wie].

Mittelloser, fünf …

Als mich Clarissa rausgeworfen hatte, tat ich mir anfangs selbst leid [ich arme, arme, arme].

Zwangloses Künstlerdasein. Die Frau mit den lackierten Zehennägeln sagte nicht, wie viele Kästchen das zwanglose Künstlerdasein hatte.

Seit ich nicht mehr mit Clarissa zusammen war, mich nicht mehr in unserer gemeinsamen Wohnung aufhielt, die nie wirklich meine, auch nicht unsere Wohnung gewesen war, immer nur ihre, in der ich für eine Weile sein durfte, fühlte ich mich angenehm zwanglos.

Dem einzigen Zwang, dem wir als grüne Frauen unterlagen, war, nichts mit den anderen Gruppen anzufangen und vor allem nichts mit den Roten. Seit Clarissa hatte ich ohnehin eine zunehmende Abneigung gegen Rot.

Ich bin sehr gespannt, wann sie es merken wird [das gesicht möchte ich sehen. aufpassen: blutdruck]. Ich habe mir etwas, ehrlich gesagt einiges [es war nicht wenig], von ihrem Geld genommen, das zwischen den roten Socken gelegen hatte. Ob es auf der Bank liegt oder hier, ist völlig egal, hatte Clarissa gesagt [wie weise].

Ich habe es gut angelegt und mir eine neue Bleibe zugelegt. Sie ist sehr klein [winzig] und manchmal schaukelt sie ordentlich. Sie liegt in der zweiten Reihe [ich mittendrin] und wenn ich an Deck gehe, schaue ich mir vom Hafen aus die Häuser an und wie das Licht sie färbt [grandios].

Die Studie wurde übrigens vorzeitig abgebrochen. Die Roten rasteten etwa in der Mitte des Experiments komplett aus [ich konnte es kaum glauben], die Männer verloren etwas früher die Fassung als die Frauen. Man hatte festgestellt, dass die Farbe der Luftballons sie aggressiver als andere, zumindest aggressiver als uns Grüne gemacht hatte. Sie waren ehrgeiziger im Aufpusten ihrer Ballons, geradezu verbissen [zwanghaft. wie clarissa], jeder wollte mehr aufgepustet haben als der andere, manche hatten üble Schwindelanfälle davongetragen, ließen aber nicht nach in ihrem überschwänglichen Eifer. Irgendwann tickten sie komplett aus, zerstörten die Ballons, stachen auf sie ein, ständig knallte es. Sie schrien sich an und beschuldigten sich gegenseitig, irgendetwas getan zu haben. Sie brachten sich selbst wegen allem in Rage. Als es zu Handgreiflichkeiten gekommen war, musste das Forschungsteam dazwischen gehen und den Abbruch bekannt geben. Sie hatten genug gesehen. Wir Grünen bekamen die restlichen Tage trotzdem bezahlt. Ich kaufte mir neue Farben von dem Geld.

Am frühen Morgen, wenn ich von meiner zweiten Reihe aus sanft schaukelnd im Wasser auf die Häuser schaue [ich könnte mich reinlegen in diesen moment], ist das Licht besonders schön [so schön].

Bildquelle: (c) DA

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