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Die Transformation

Von Wolfgang Uster.

Von Licht und Leid der blendend heißen Scheinwerfer seines vorgefertigten Daseins tief in der Seele gezeichnet, war seine Reise in das verdichtete, atmende Gestrüpp überaus lusterfüllt, Moderduft sein wahrer Schatz. Nichts, was ihn widerspiegelte. Den nackten Fuß auf das weiche Moosbett gesetzt, hörte er kaum noch das empörte Getuschel und die klammernden Mahnungen hinter sich. Dornen rissen brennende Schrammen in die graue, glatte Haut. Grundsätzlich überrascht, überhaupt noch etwas zu spüren, freute er sich auf das Erleben der juckenden Vernarbung. Farn schüttete spontan seine Sporen über ihn aus. Sie blieben in Poren stecken oder klebten einfach auf der schweißigen Haut, wo sie zunehmend ihre transzendente Wirkung entfalteten. Ein gelber Schleimpilz legte sich darüber und diffundierte sein alkalisch gelöstes Medium durch die Haut. Saftend hängten sich reife Tollkirschen in einem Kindheitstraum aus ungleichen Stielen über seine Ohrmuscheln. Tief atmete er die pudrigen Pollen des Goldregens in die untersten Spitzen seiner geblähten Lungenflügel. Vorsichtig verzehrte er die schmackhafte Blüte des Fingerhuts.

Allmählich fing er an, sich neu zu bilden und die Streuung seiner alltäglichen Wirkungspartikel und Schlingschleifen am eigenen Leibe zu spüren, was ihm erst Erstaunen, dann Erschrecken und letztendlich eine tiefgekühlte Erstarrung abrang. In die klebrigen Spinnfäden seiner Beziehungslinien eingewickelt, verharrte er vorläufig noch ungläubig , bis er – immer noch verwundert – seiner Bewegungsunfähigkeit gewahr wurde. So gefesselt im eigenen beimpften Kokon erspürte er unter der Stoffwirkung seiner Mitgeschöpfe das, was man eine Metamorphose seiner einfältigen Seele hätte nennen können, nicht nur in Gedanken- und Handlungsimpulsen, nicht nur in den Gefühlsschichtungen seiner zufälligen Existenz, sondern einen kompletten Umbau in die Empfindungsnetze derer, über die er gemeinhin stolperte, sprach und spottete, an denen er handelte und sich verging, für die er in der Tiefe seiner gewachsenen und scharf abgrenzenden Wertigkeiten nur Verachtung und Ekel empfand. Aber auch die Berührungs- und Verbreitungsempfindsamkeiten derer, auf denen er gewöhnlich herumtrampelte, auf dem Löwenzahn, dem Wegerich und dem Beifuß der Picknick-Wiesen im Stadtwald, auf den kleinen braunen Ameisen, deren Säure so schmerzhaft in den Augen brennen konnte, durchfuhren ihn. Zerknickt und zertreten unter unachtsamen Füßen, unschuldigen Fleischbergen wenig entwickelter Zweibeiner, die die filigranen Strukturen seiner funktionellen Abläufe unterbrachen, das Wunder der wiederkehrenden Entstehungsgeschichte in jeder Variante seiner mit ihm neu entstehenden Individuen ignorierten, richtete er sich mühsam wieder auf, versuchte sich neu zu entfalten, verwundet, eingeschränkt und tief verletzt in der mineralischen Seele. Oder er leckte sich im Artensprung seine Wunden bis hin zur Atomisierung seiner Substanz als ein vom Außenskelett zerknackter Laufkäfer, umarmt von der fremdartigen Fülle, die ihn berauschte, die Explosion der Sinnesfreuden, die im Humus des Unterholzes neue Leuchtfeuer nie da gewesener Wahrnehmungsenergien zündeten und deren bisheriger menschlicher Ausschnitt sich wie ein lächerlicher Fliegendreck in einem Universum der Empfindungsmöglichkeiten darstellte. Er gab sich hin, verschmolz und wurde Bestandteil.

Es wässerte ihn seine Vielfalt, Gase durchdrangen als orgiastische Partikel die Schichtungen seiner Membranen, es vibrierte ihn, es durchstöhnte ihn, plastizierte sich in eine längliche Fließstruktur und schmatzte an einer Gruppe Mitochondrien vorüber, die seine Erscheinungsform etwas umständlich berührten. Es weinte ihn voll Bitterkeit durch nie zuvor erfasste Tränenströme, als es sich mit ihm durch die Verzweiflung in die Sekunde des Ablebens und den nachfolgenden Verfall im Tod seiner Kollegin wühlte, die er verlacht hatte als beknackte bürgerliche Tante, als Fleischwerdung einer unerträglichen Befindlichkeitsexhibitionistin. Sie wusste es alles in ihm und sie lebte diese wahnsinnige Angst in seiner Empfindungswelt, eine Angst, wie er sie niemals gefühlt hatte. Sie klebte an seinen Eitelkeiten, durchfuhr seine zerstückelten Kerne und es erspürte wieder diesen osmotischen Schub der Gasteilchen in ihm, die ihn in seiner Streuung so süß kitzelten und mit allem in eins heraustollten aus den Thylakoiden, auf verwandelter Lichtenergie reitend, mit ihnen abstürzten auf einem schwingenden Blatt im dunklen Wald, das sich im Auftrag zur Laubstreu fand und sich zuckend mit ihm unter dem Saftkugler wand, im Lustschmerz zu Humus gewandelt, durch Urdärme gepresst, zernagt, zerschnetzelt, zerstückelt von Beißwerkzeugen in fröhlicher Vervielfältigung seiner unsteten Gestalt – ein Freudenschrei: Plötzlich viel sein statt eins, überall sein statt begrenzt, ein Wald sein und im Wald sein und die Wurzelfreude erleben als aufgeschlürftes Teilchen in lustvoller Reibung an den zärtlichen Häuten seiner Innerlichkeit, in Ursuppe sich transformierend wiederzufinden – ein Rausch unglaublicher Intensität. Dickflüssig gelöst trieb es einige seiner Teile durch die Leitungsbahnen der Bäume nach oben, ein Karussell der Vergnüglichkeiten, ein Reigen im satten Kreislauf, dessen Saugpumpe ihn oben angekommen wieder aus den Blättern stieß, herauskatapultierte, von der Zunge eines Leguans beleckt, einer angenehmen rauen Zunge mit körnigen Papillen, von Winden verblasen, niedergerieselt, erfasst von dem Schwirren eines Kolibris im Honigrausch, ein Gleiten durch den schmackhaften Schlund eines belegten Knorpelareals hinunter in den Knetmagen einer Vogel-Reptilien-Welt, wo Säfte wirkten, die so zärtlich an ihm sogen, dass es ihm noch kleinere Einheiten empfindsam abströmen ließ, die in der ferneren Umgebung auf sehr besondere Weise vor Vergnügen kicherten und aufglimmten und sich schließlich in einer der Faltungen suhlten. Die Vielfalt verzehrte sich, ballte sich erneut einfältig zusammen und wurde klumpig ausgestoßen. So rollte es sich in ihm, mit ihm, von ihm und durch ihn als Ganzes und in seinen Bestandteilen und jedes Partikelchen empfand in der kleiner und kleiner werdenden Zertrümmerung Lust und Schmerz und Verständnis von dem, was in ihm war und in allem war, was getrennt schien und doch der Gleichzeitigkeit nicht entgehen konnte.

Als die Wirkung in den verwobenen Schichtungen in ihr nachließ, schrie sie vor Verzweiflung, schlug sich die Schneidezähne an den harten Äußerlichkeiten blutig und flehte um die Gnade der bleibenden Geburt. Die am Rande des Fremdseins lebten hörten dieses unmenschliche Wehklagen und starrten mit geröteten Augen und unter innerem Schauer sich verzehrend in die schwarze, undurchdringliche Wand des Pflanzengewirrs. Sie erkannten nichts. Das Gestrüpp aber gebot ihr die Rückkehr, zerrte sie aus der Transformation und setzte ihre Füße Schritt für Schritt tapsig aus dem Moosbett hinaus in das Tageslicht ihrer erneuten Menschwerdung, auf dass sie ihre Beschränkung durchleben und ihrer Struktur in den Fesseln der menschlichen Form ein helleres, verstehendes Antlitz verleihen möge.

So kam sie aus dem Da – Sein zurück. Das Graue seiner ehemals glatten Gesichtshaut war ihrer lächelnden, glänzenden Furche gewichen. Und die sie scheu und ungläubig von der Seite anschauten, spiegelten sich im Muster des gefalteten Lebens.

Bildquelle: (c) DA

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