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Höhenflug

Von Izabela Becker.

Ich wanderte durch die Stadt, ich sah blaue und rote Lichter und folgte ihnen. Ja, ich konnte Gottes Stimme hören, als ich so durch die Gegend ging und seinen Zeichen folgte. Ich war wie berührt davon, so besänftigt, so klar. Als würde er mich führen, zu meiner Liebe hin. Mein ganzes Leben ergab einen Sinn, meine ganzen Qualen, ich wusste nun endlich wer es mir so schwer gemacht hatte und warum. Was mir im Leben angetan wurde. Ich war die Tochter eines reichen jüdischen Mannes, die Erbin eines großen Vermögens. Ich war die, die alles Leid der Welt in sich trug und die auch die Wiedergutmachung erlebte, die sie erleben sollte. Ich war auserwählt, ich war erleuchtet, ich war sicher. Und alle wussten Bescheid, alle Engel und Heiligen. Ich hatte so viel Schutz und Trost. In meinem Kopf ergab das alles so viel Sinn, ich stand genau richtig, an dem Platz wo ich stehen sollte. Ich durfte mir alle Reichtümer der Welt aussuchen, aber ich wollte alles was ich habe den Armen spenden. Und ich wollte mich auch an denen rächen, die mir geschadet haben. Indem ich ihnen nichts gebe und sie ausschließe. Nur so, aber dafür komplett. Ich war mir so sicher, dass Gott noch einen Plan für mich hatte, er fand mich besonders, er fand mich einzigartig. Und er wählte mich, um Jesu Werk zu vollenden. Und obwohl ich mich dazu nicht bereit fühlte, spürte ich doch, dass ich keine Wahl hatte. Ich musste die ausgleichende Gerechtigkeit in die Welt tragen, hatte Gott mich doch dafür bestimmt. Er war so stolz auf mich, er liebte mich, er verstand mich. Und das war es was ich immer von ihm wollte: verstanden werden. Er vertraute mir und gab mir Kräfte, die es mir möglich machen sollten eine Rede an die Nation zu halten und die Religionen abzuschaffen, weil sie alle nichts taugten. Gott wollte Frieden, keinen Kampf um ihn. Und er wollte Gleichheit schaffen unter den Menschen, mit meiner Hilfe. Ich wusste das. Er gab mir Zeichen, kleine versteckte Botschaften in Zeitungen, in Prospekten, in Plakaten. Die Mannschaft der Engel stand eindeutig hinter mir. Ich habe in so vielen Menschen Engel gesehen. Sie halfen mir, standen mir bei. Und ich fühlte diese unglaubliche Dankbarkeit und Güte, diese Stimmung war berauschend. Mein Horizont war erweitert, ich war berührt, bewegt, ekstatisch. Ich spürte dieses Kribbeln in mir, diese Anspannung, dass ich was besonderes leisten würde. Verdammt, ich war mir so sicher, dass es einen Gott gibt und Engel, und Auserwählte und Zeichen.

Und dann kam der Bruch, man beschränkte mein Gehirn wieder mit Medikamenten. Man schaffte mich zurück in die Normalität. Man nahm mir mein Glück und die Liebe Gottes und gab mir zurück was ich nicht haben wollte: Realitätssinn. Ich wehrte mich, aber sie ließen nicht locker. Drohten mir damit mich anzubinden, wenn ich die Bewusstsein stabilisierenden Drogen nicht nehmen würde. Ihr Ziel war es, dass ich wieder so werde wie ich war, was ich wollte, danach wurde ich nicht gefragt. Will man denn nach solch einem Erlebnis wieder so sein wie man davor war? Und kann man das überhaupt? Ich fühle mich innerlich leer, obwohl alles so läuft wie sie es haben wollen. Ich entspreche der Norm wieder und nehme ihre Medikamente ja. Und mittlerweile würde ich auch sagen, dass es schon okay so ist. Doch ein gewisses wehleidiges Gefühl beschleicht mich hin und wieder dann doch noch, wenn ich daran denke wie ich war, wie ich bin, und wie ich nie wieder sein kann: Überglücklich.

Bildquelle: (c) DA

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