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Nichts als Hitzefrei

Von Magdalena Baran.

Aufwachen. Der schlimmste Moment des Tages. Angst. Sie kommt von innen. Du machst die Augen zu. Noch ein bisschen. Es wird noch gehen. Nein, doch nicht. Du musst es angehen. Jetzt. Öffnest die Augen. Dünne Sonnenstrahlen durch die Jalousien. Schatten am Bett und Boden. Wie Gefängnisgitter. Das Schlafzimmer weiß, fast steril. Mit Gittern. 07:42. Geschrei von Kindern aus dem Hof. Geruch nach Eiern. Sonntagsfrühstück. Nicht für Dich. Du bist allein. Ganz allein. Drehst dich um. Er schläft noch. Drehst dich fort. Gut, jetzt raus. Stehst auf. Gehst in die Küche. Drehst die Kaffeemaschine auf. Räumst das Geschirr weg. Machst Kaffee. Räumst das Wohnzimmer auf. Trinkst Kaffee. Drehst den Notebook an. Trinkst Kaffee. Schreibst einen Text. Trinkst Kaffee. Die Angst ist noch da. 09:19. Dir wird heiß. Ganz heiß von innen. Brechreiz vom Kaffee. Kinder schreien weiter. Kein Geruch mehr. Frühstück ist vorbei. Wettervorhersage: heute 33 Grad. Heiß. Drinnen und draußen. Der Wunsch nach Abkühlung. Überall. Drinnen und draußen. Es ist nicht auszuhalten. Du schaust aus dem Fenster. Sie montieren eine Klimaanlage bei der Blondine. Am Sonntag um 09:27. Das nutzt auch nichts. Du weißt es. Es nutzt nichts. Machst die Tür auf. Nimmst die Zeitung von der Matte. Titel: #Respekt. Für Dich? Oder für sie? Oder für alle? Es interessiert dich nicht. Vollkommen lust- und antriebslos mit 33 Jahren. Jeder andere fröhlich und heiter. Karriereziele. Familienplanung. Selbstoptimierung. Für dich völlig sinnlos. Du willst nur noch das Ende. Bis dahin Zeit totschlagen. 09:53. Vielleicht doch Eier. Vielleicht hilft das. Machst eine Eierspeise. Eier vorzüglich mit Salz und Schnittlauch. Dazu Toast. Zeitung geht auch noch: Die Bereitschaft Lügen zu glauben ist enorm gestiegen. Glaubst du sofort und isst Eier. Geräusche. Er ist aufgewacht. Licht am Klo. Du isst. Und liest: Kein Staatsziel Wirtschaft –„Fataler Fehler“. Klar, alles klar. War dir schon immer klar. Fehler macht man. Einmal. Zweimal. Dreimal. So schnell kann es gehen. Das ganze Leben verfehlt. Eierspeise aber doch ganz gut. Nur noch ein Bissen. Zeitung schreibt: Auch der Pudel denkt sich was. Zweifellos. So wird es sein. Aus Langweile einen Hund zu kaufen. Das hättest du machen sollen. Auch diese Chance verpasst. 10:33. Spülung. Angst schon weniger. Eier und Zeitung helfen. Er geht zurück ins Bett. Du allein im Wohnzimmer. Zeitunglesend. Leben im Wohlstand. Schön. Scheinbar Badewetter. Dann halt an den See. Gehst dich duschen. Einseifen. Rasieren. Eincremen. Schminken. Badeanzug im Schlafzimmer. Er schläft nicht. Legst dich dazu. Er berührt dich. Du berührst ihn. Nähe. 11:28. Du starrst die weiße Decke an. Er neben dir. Alles lichtdurchflutet. Jalousien hochgezogen. Angst schon fast weg. Er: Was machen wir heute? Du: Baden? Er lächelt. Du lächelst. Sonnig und heiter haben sie vorausgesagt. Es wird schön werden. Du weißt es.

Bildquelle: (c) DA

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