Novelle

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Vom Knorren in der makedonischen Lyrik

Fünf vergebliche Versuche, ein geheimes, neues Wort wie einen Schatz zu heben

Von Thomas Glatz.

Ich bin neu hier, sagte das plötzlich auftauchende Wort 1

Nicht selten stoße ich bei meiner Lektüre auf Dichter, die ein „neues“oder „unbekanntes“ Wort fordern, es beschreiben, oder es in eine Geschichte einbauen. Ein neues Wort, ist das eine Metapher für den Umstand, dass es viel mehr Dinge als Sprachlaute gibt? Eine Metapher für das Auseinanderklaffen von Signifikant und Signifikat? Oder ist es das sagenumwobene vergessene Ur-Wort, welches wohl am Anfang der Dinge und der Welt gestanden haben mag? Nur selten gibt ein Dichter sein „geheimes“ Wort preis und teilt es dem Leser auch mit. Aber kann man schreiben, ohne die Dinge beim Namen zu nennen? Weckt man das Lied das in jedem Ding zu stecken scheint, wenn man das Ding mit seinem wahren Namen anspricht?

Nun bin ich sehr froh endlich fünf solcher Wörter gefunden zu haben und möchte sie Ihnen mal zeigen.

Erster Versuch : „Knorren“ – ein makedonisches Hirtenholzwort?

Der makedonische Lyriker Aco Šopov 2 z.B. bittet um ein gewöhnliches, noch nicht erfundenes Wort:

das ist es, was mein Leib von dir erfleht:/ erfinde mir ein Wort, das keiner noch erfunden,/ alltäglich und gewöhnlich und wie ein Holzscheit schlicht,/ wie die Hände rußgeschwärzt,/ urväterlich zerschunden, wie eines licht—/ das Wort nur finden, das mein Leib von dir erfleht/ (…)

Einige Seiten und eine Handvoll Gedichte weiter stutze ich. Da ist es, das geforderte Wort, das keiner noch erfunden. Anscheinend hat es Šopov selbst erfunden : „Knorren“. Ein schönes, lautmalerisches Wort, das mich an „knorrig“ denken läßt, an Holz. Im Gedicht „Geburt des Wortes“ 3 taucht es auf:

Geburt des Wortes/ Knorren an Knorren,/ Stein auf Stein/ Ein steinerner Wald/ Frosterstarrt/ Knorren an Knorren/ Stein auf Stein/ Stein ich Stein du/ Es dampft die Nacht// Aus dem Dunkel löst sich das Wort/

Blaue Kohle glüht in seinem Inneren/ O Wort, das ist, weil es nicht ist!/ Du wiegst den Himmel/

Du lenkst die Erde/O du, das ist, weil es nicht ist!//

Da ist es, das Kunstwort „Knorren“, von Šopov geschaffen!

Auch andere makedonische Lyrikerkollegen scheinen es inzwischen angenommen zu haben.

Srbo Ivanovski verwendet es in seinem Gedicht „Eine Stadt außerhalb der Landschaft“ 4

Im Blut keine Grenze zur Sonne/ Die Mandelbäume haben alle deine Zeiten/ In schweren Knorren/

An die Stämme gebunden./ (…)

Wie enttäuscht bin ich, als ich den Neuen Brockhaus von 1965 aufschlage. Der weiß es besser: Knorren (westgerman.) der 1) Baumstammteil mit vielen Ästen 2) rauher Klotz 3) Baumstumpf 4) Gelenkknorren: Gelenk eines Knochens

Da habe ich mich wohl geirrt. Es hat sich ausgeknorrt!

Zweiter Versuch: „Kuboaa“- ein norwegisches, über hundert Jahre altes Schwarzwort?

Auch dem Nobelpreisträger Knut Hamsun wird nachgesagt ein neues, schönes Wort erfunden zu haben.5

Die Finsternis brütete um mich, die gleiche unergründliche schwarze Ewigkeit, an der meine Gedanken sich austobten und sie nicht fassen konnten. Womit war sie noch zu vergleichen? Ich machte die verzweifelte Anstrengung ein Wort zu finden, das schwarz genug wäre, diese Finsternis zu bezeichnen. Ein Wort, so grausam schwarz, daß es meinen Mund schwärzen mußte. Ich schnipse mehrere Male mit dem Finger und lache. Zum Teufel auch! Ha- ich bilde mir ein, ein neues Wort gefunden zu haben. Ich richte mich im Bett auf und sage: Das gibt es in der Sprache noch nicht, ich habe es erfunden: Kuboaa…

Von großer semantischer Bedeutung. Das Wort stand in der Dunkelheit vor mir.

„Kuboaa“ – ein schönes Wort für „Finsternis“. Aber ich brauche nur weiter zu lesen und schon werde ich eines Anderen belehrt.

Kuboaa? Der Herr macht Witze…Sein gutes Recht. Ku heißt „Kuh“ im Norwegischen, und Boaa „Boa“, die constrictor nämlich. Ein Tierfabel-Wortrebus (…) steht für die Schwärze, 1890. 6

Fehlanzeige. Dritter Versuch.

Dritter Versuch: „Nipras“- ein altes sorbisches Traumwort?

Auch der sorbisch-deutsche Autor Kito Lorenc kennt ein unbekanntes Wort: „Nipras“ 7

Er (der alte Mann T.G.) verriet sich, als er im Schlaf sprach. Nipras, sagte er oder niprasch. Etwas undeutlich wohl weil er ohne Gebiß schlief. Einer der anderen vernahm es und erstarrte. Er sagte es allen anderen und fragte danach. Alle anderen sprachen auch manchmal im Schlaf, aber wie es, weil sie sich so glichen, der Fragende geahnt hatte: Nie hatte jemand desgleichen gehört. Sie wagten den alten Mann nicht danach zu fragen, aus Furcht, das unbekannte Wort zu verletzen, es zu vertreiben und hätten sie ihn danach gefragt, er hätte, selbst wenn er es gewußt hätte, bestreiten müssen, je ein solches Wort gekannt zu haben, da er ihnen allen gleichen wollte, um nicht aufzufallen und nicht ausgesondert zu werden.

„Nipras“! Nun kann ich kein Sorbisch, aber ich vermute, dass es sich um ein sorbisches Wort handelt, dass der alte Mann in Lorenc Text noch kennt. Den jungen Deutschsorben sagt „Nipras“ schon nichts mehr.

Wollen wir es nicht verletzen, vertreiben oder aufschrecken, das Wort „Nipras“ und sehen besser nicht in einem Deutsch-Sorbischen Lexikon nach!

Vierter Versuch: „ 2,22333MillpersecMos.17,1-501ptxM/QIquodd oarschglumpRumpelllll??“- ein deutsches Weltüberdauerwort?

In Eckhard Henscheids Gedichtband „An krummen Wegen“8 werde ich erneut fündig. Wieder witterte ich einen Wort-Schatz. Henscheid ist einer, der das Versprechen einlöst das „entschlafene“ Wort zu benennen. Auch wenn die Art und Weise, wie er dies tut vielleicht den ein oder anderen Lyriker unter der Gürtellinie treffen mag. Er tut es!

MNEMOSYNE

oder
WÜLLI WÜLLENWEBERS EHREND
EINZUGEDENKEN

„Was er, Karl Kraus, alles nur in allem genommen,/ gewesen sei, ginge wohl über Definitionskräfte;/ daß nimmer seinesgleichen zu sehen sein wird,/ wäre nicht genug. Aber wenn ein Satz es/ beschreiben könnte, so wäre es einer, der dies/beschriebe: die immer neue Sichtbarkeit seiner/ selbst, das unvergängliche Vorhandensein des/ entschlafenen Wortes, das jene Welt überdauert/ und immer wieder sie, die immer wieder-/ kehrende, überdauern wird.“ (Wülli Wüllenweber)//

Und wenn die Welt auch sehr tief schliefe/ Obzwar das Wort sie schlafend riefe/ Und wenn die immer noch tief schlafende Welt es dann geböte/ In allem Kummer und in aller ihrer Nöte/ Daß wenn vorm Einschlafen der Welt das Wort sich/ Doch noch einmal weckte,/ Auf daß die Welt sich nochmals hochaufreckte!/ Ja, jenes jähe Wort die Wirklichkeit erst schüfe/ Durch Karl Kraus, der es, das Wort beschlüße-/ Beschriebe dies gleich einer unverblümt, wer wär`es?/ Wäre wer?/ Selbsten Karl Kraus? Ich Wülli Wüllenweber! Ich begehr/ Der Mann zu sein, der falls das Wort erwachte,/ Mit mächt´gem Wortschwall, daß es tosend widerkrachte-/ Und doch selbst dann die Welt am Schlafen bliebe,/ Obschon sie ja doch äh…äh…Liebe? Neinnein: Hiebe!?-/ Siebe? Nein, Siebe nicht/ Doch wenn das Wort die Welt dauernd am Schlafen wähnte,/ Bis daß ihr selbst das Aug`schon thränte,/ Und mählich alles an den Zustand sich gewöhnte:/ Bis endlich Einer kommt, der Schlaf und Welt versöhnte,/ Kraus? Reiner Kunze? Kaum. Vielmehr ja doch ich selber!/ Willi, der Wülli! Der da dick dummdreist webte… Kälber?/ Kurzum: Sobald nur Jener, den das Wort betröffe,/ Derweil doch zügig sie, die Welt, in ihm, Wülli, ersöffe,/ Und drum das Wort beseligt sich alsgleich enthöbe/ Uns unverdrossen bald die Unvergänglichkeit zu tragen göbe,/ Dies Karl Kraussche Schlafen-Lassen:-es entrückte/ Fürwahr ja Wort um Wort, bis es uns in effigie glückte-/ So es denn überhaupt ein überdauernd´Schlafen wäre/ Und ja nicht bloß ein bloßes Wortweltschlafgemähre-/ Es spräng´ dies Wort ihm unverstockt schon von der Hippe/ Recht wohlgemacht ins Bett- auf daß es dorten bliebe,/ Beflissen unverzagt bis zu dem Jüngsten aller Tage-:/ Uns je zum Trost- nicht längerhin zur Plage!/ Und es dort läge, auf daß weiterhin `s dorten liegte,/ Derweilen Wülli, es keusch in den Armen wiegte/ Unter Bambergs ewig lang stets neu sichtbaren Domesschatten-/ Wie? Was? Wer? / 2,22333Mill.per sec. Mos. 17,1-501 ptxM/QI quodd oarschglumpRumpelllll??/ Ach ja; ich leg´mich item etwas- Wer? Wen?!-/ Rumpel?/ Ratten./ Ratten?/ Ratzen.//

Ich bin enttäuscht. Nach „Knorren“, „Kuboaa“ und „Nipras“ habe ich auch bei Henscheids entschlafenem Wort so meine Bedenken. Der Herr macht Witze. Sein gutes Recht. Stellt sich der Goldfund des Schatzsuchers im Schatten des Bamberger Domes plötzlich als 2,22333Mill.per sec. Mos. 17,1-501 ptxM/QI quodd oarschglumpRumpelllll??iger Dreck heraus?

Fünfter Versuch: „ein@emspI4;paar“- eine wacker-provokante deutsche Wortneuschöpfung oder nur ein Marketingag der SZ-Bibliothek?

Bei Martin Walser, dem „wackere Provokateur“? 9

heißt es in seinem Buch „Ehen in Phillpipsburg“10

“…, das Dr. ten Bergen vergeblich durch ein@emspI4;paar bescheiden abwehrende Handbewegungen beizulegen suchte.”

Ich horche auf, notiere mir das schöne Wort“ ein@emspI4;paar“ in mein eigens für geheime oder neue Worte angelegtes Büchlein. Bei meiner Internetrecherche werde ich vom Schriftsteller Nikolai Vogel 11 aufgeklärt was es mit dem ein@emspI4;paar auf sich hat.

vergeblich durch ein@emspI4;paar

SZ Bibliothek, Martin Walser “Ehen in Philippsburg”. Weiter geht es mit oberflächlich redigierten Büchern. [Vgl. den Eintrag vom 27.4.04: Auster mit Fehlern.] Textvorlage wieder gescannt? Gerne fehlt ein “r” vor Komma, z.B. auf S. 21 zweimal. Noch schöner S. 210: “…, das Dr. ten Bergen vergeblich durch ein@emspI4;paar bescheiden abwehrende Handbewegungen beizulegen suchte.” Vielleicht sind aber diese Bücher auch weniger zum Lesen als zum Kaufen gemacht? Das mit dem spärlichen Lektorat scheint ja kein einmaliger Ausrutscher zu sein. Man könnte vielleicht mit dem Motto “Zahlen Sie weniger, redigieren Sie selbst” werben..

Schade. Nach fünf mehr oder weniger erfolglosen Versuch gebe ich auf. Es liegt nun an mir, an uns Dichtern, ein Wort, das keiner noch erfunden, ein Wort das schwarz genug ist die Finsternis zu bezeichnen, ein Wort das unbekannt ist und schnell verletzt und vertrieben werden kann, ein Wort, das entschlafen ist, ein Wort das zauberhaft gescannt ist zu erfinden.

P.S.:Beim Abtippen dieses Textes verfärbte sich das fünfte Wort plötzlich lila und ließ sich anklicken. Der Outlook-Express öffnete sich und ich konnte eine Email an ein@emspI4;paar verschicken. Ich schrieb, dass ich nach Wortneuschöpfungen forsche und fragte was es mit dem Wort ein@emspI4;paar auf sich habe, woher es käme usw. Als ich das Zauberwort zum zweiten Mal tippte verfärbte es sich nicht lila sondern blau.- Die Adresse scheint tatsächlich zu existieren, der Mailerdämon hat bei mir noch nicht angeklopft!

Wer mag sich hinter der Mailadresse verbergen? Ein Swingerpärchen aus Bad Ems ? Ein Ehepaar aus Phillipsburg?

P.P.S.: Nach zwei geschlagenen Tagen erschien mir doch der Mailerdämon. Die Emailadresse existiert nicht und ich muß wohl weiterhin im dunklen Kuboaa herumtappen.

Kennen Sie ein geheimes, noch nicht erfundenes Wort?

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<ein@emspI4;paar>

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To: <ein@emspI4, paar>
Subject: vom knorren in der makedonischen lyrik Š
Sent: Friday, August 6, 2004 5:27 PM

1 William Carlos Williams: „ Der große amerikanische Roman“ in: Norbert Wehr (Hg.) Schreibheft Nr.29, Frankfurt am Main 1987-89; S.5

2 Aco Šopov : „ Bitte um ein gewöhnliches, noch nicht erfundenes Wort“ in: Matthias Bronisch (Hg.): Moderne makedonische Lyrik, Tübingen, Basel 1978; S.56/57

3 Aco Šopov: „Geburt des Wortes“; ebd.

4 Srbo Ivanovski: „Eine Stadt außerhalb der Landschaft“; ebd.

5 Knut Hamsun: „Hunger“ in: Klaus Thelweleit: Buch der Könige; Orpheus am Machtpol Band 2X; S.5

6 ebd.; S.7

7 Kito Lorenc: „Aus jenseitigen Dörfern“ in: Kito Lorenc und Johann P. Tammen (Hg.): Zeitgenössische sorbische Literatur, edition die horen

8 Eckhard Henscheid: An krummen Wegen, Gedichte und Anverwandtes, Haffmanns Verlag 1994 ;S.91ff

9 Der Schwabenspiegel, Jahrbuch für Literatur, Sprache und Spiel, Herausgegeben vom Archiv für Literatur aus Schwaben Heft 3/2002, Augsburg ;.17

10 Martin Walser: Ehen in Phillipsburg, Süddeutsche Zeitung/ Bibliothek, München 2004 ; S.210

11 Nikolai Vogel auf : www.nachwort.de; 30.05.2004 um 20:44

Bildquelle: (c) DA

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