Novelle

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Im Palast der Winde

Theaterstückchen in einem Akt.

Falk Andreas Funke

Personen: Doktor Stänker, Flatulenzforscher, Personen einer Besuchergruppe

Ort: Der Hörsaal eines wissenschaftlichen Instituts

(Doktor Stänker steht an einem Demonstrationstisch, hinter ihm befinden sich Vitrinen mit diversen Asservaten; die Besucher sitzen im Plenum)


Dr. Stänker: Meine Damen und Herren, wir befinden uns hier an einem ganz speziellen Ort, dem Herzstück unsres Instituts für angewandte Flatulenzforschung sozusagen. In den Vitrinen hinter mir sehen Sie die weltweit größte und bedeutendste Sammlung audiosimulierender Flatulenz-Polsterware, despektierlich auch Furzkissen genannt. (Lachen im Plenum) Nein, das ist nicht komisch! An einem Ort ernsthafter wissenschaftlicher Arbeit darf ich Sie um den gebührenden Respekt bitten. (das Lachen verstummt).

Ich hatte Ihnen ja bereits auf unserem gemeinsamen Rundgang einen groben Abriss über die Kategorisierung der Flatulenzphänomene gegeben. Um es vulgär und allgemeinverständlich zu formulieren: die Einteilung der Fürze nach ihren Arten. (das Publikum unterdrückt ein kollektives Lachen, Doktor Stänker winkt ab, sofort kehrt wieder Ruhe ein) Lassen Sie mich das Wesentliche bitte noch einmal zusammenfassen. Dabei werde ich Ihnen unter Zurhilfenahme der Artefakte praktische Beispiele der Klangeigenschaften geräuschhafter Gasbildung demonstrieren. (wendet sich um, nimmt ein sehr kleines Gummikissen aus einer der Glasvitrinen und legt es vor sich auf den Demonstrationstisch)

Wir hatten zunächst festgestellt, dass sich die Flatulenzphänomene in zwei Hauptgruppen einteilen lassen, nämlich in die Flati, die hörbar sind – und solche, die dem Wahrnehmungsbereich unserer Ohren entgehen. Phänomene der Kategorie eins werden als Töner bezeichnet, die der Kategorie zwei sind die Stummen oder die Stillen. Letztere wollen wir hier nicht weiter erörtern; dazu werden wir gleich im Geruchslabor kommen, wonach ich Sie gerne zum Mittagessen in die Institutskantine einladen möchte. (beifälliges Gemurmel der Besucher; ein leises vereinzeltes Lachen)

Bleiben wir also zunächst bei den Tönern. Sie werden hören und staunen mit was für einer Artenvielfalt Sie es zu tun bekommen. (drückt mit dem Zeigefinger auf das kleine Gummikissen, das ein klägliches Geräusch von sich gibt) Das, meine Damen und Herren, war ein Kümmerling. (Pause) Ja, ich schaue in enttäuschte Gesichter. Aber so fängt es einmal nun an, das Leben, klein und kümmerlich. Gerne hätte ich Ihnen an dieser Stelle auch noch das Fiepserpolster demonstriert, doch das ist leider in der vergangenen Woche an Materialermüdung zugrunde gegangen. Professor Blasius arbeitet bereits fieberhaft an einem Ersatz. Doch keine Sorge: wir werden uns schon noch steigern.

(nimmt ein etwas größeres Kissen aus der Vitrine) Voilá! (und drückt darauf; ein scharfes Geräusch ertönt) Na, wie fanden Sie das? Ich muss gestehen, es handelt sich hier um einen meiner Lieblinge. Ein klassischer Frecher Brecher. (Lachgemurmel im Publikum; Doktor Stänker zieht die Stirn in Falten und schüttelt den Kopf) Wir kennen verschiedene Verwandte des Brechers, etwa den Kessen Presser oder den Rotzigen Reißer. Der Freche Brecher aber besticht durch seine Klangklarheit, die ihnen bestimmt aufgefallen ist. Moment, ich glaube, ich habe da auch noch ein Beispielpolster… (sucht mit gestrecktem Zeigefinger die Vitrine ab) Wo haben wir es denn, das Presserchen? Sowas Dummes. Egal. Hier ist ein Polster (nimmt Selbiges aus der Vitrine und setzt es auf den Tisch), das ich Ihnen ohnehin nicht vorenthalten wollte. Hören Sie nur (ein langes knarrendes Geräusch ist zu vernehmen). Ein Soundklassiker; wenn auch nicht immer in dieser Länge zu erleben. Wir sprechen hier von einem Knarzer. In der Bandbreite, die sie gerade gehört haben, erinnert er an eine knarrende Tür, weshalb einige Experten dazu neigen, diese Bezeichnung zu einer eigenen Gattung zu erheben. Ansichtssache. Für die Kurzvariante habe wir uns des Schweizerdeutschs bedient, also Knarzerli. Und jetzt passen Sie mal auf (bläst das Polster mittels einer Fahrradluftpumpe wieder auf, zieht aus der Vitrine eine Emailleschüssel hervor, setzt sie auf den Tisch und das Polster hinein, drückt zu). Herrlich was? Nichts anderes als das schon vernommene Geräusch, nur durch das Gefäß verstärkt und mit einem leichten Hall versehen. Ein Schüsselknarzer der reinsten Form. Und keineswegs eine Spielerei, meine Damen und Herren, sondern der authentischen Situation in einer Toilettenschüssel nachempfunden. Was übrigens für alle Geräusche möglich ist. Da wird unser Liebling von soeben zum Frechen Schüsselbrecher. Die Varianten sind so artenreich wie die Gattungsbezeichnungen. Der Ochsenfrosch – zu dem wir gleich noch kommen werden – mutiert zum Schüsselochsenfrosch. Der Fette Mönch…

(im Publikum erhebt sich ein Mann von seinem Besucherstuhl)

Ein Mann: Herr Doktor Stänker, wenn… (er verzieht das Gesicht) ich mir eine Frage… (er schließt die Augen und presst die Lippen aufeinander) erlauben darf… (jetzt entfährt ihm ein gewaltiger Wind; die Besucher zucken zusammen und raunen)

Dr. Stänker: Phänomenal! Großartig! Ich beglückwünsche Sie, auch wenn ich Sie leider nicht um eine Wiederholung bitten kann. Wissen Sie eigentlich, was ihnen da gerade entfahren ist?

Ein Mann: (läuft puterrot im Gesicht an und setzt sich schnell wieder hin)

Dr. Stänker: Ein Praller Brüller! Selbst ein Gemeiner Brüller wäre schon eine Seltenheit gewesen. Aber solch ein Exemplar von prallem Brüllertum ist in der freien Wildbahn praktisch nicht mehr anzutreffen. Das liegt an unserer degenerierten Ernährung. Darf ich hier einfach mal unterstellen, dass Sie ein Vollkornvegetarier sind? Es gibt da eine interessante Feldstudie des geschätzten Kollegen Doktor Blöhmecke aus Darmstadt, der sich mit dem Zusammenhang von ballastreicher Nahrungszufuhr und der daraus resultierenden Flatulenz beschäftigt. Jedenfalls, herzlichen Glückwunsch für diese gelungene Demonstration. Hier ist der Punkt erreicht, an dem ich zugeben muss: selbst das hochwertigste Simulationspolster kann uns nur eine ungefähre Ahnung von der Wirklichkeit geben, mit der wir hier eben konfrontiert wurden. Das echte Leben ist eben… (stockt) nur unzureichend kopierbar und… (greift sich an die Nase) einzig… (faltet die Hände) artig. (Pause) Ahhh…, meine Darmen… Entschuldigung, meine Damen und Herren, riechen Sie das? (hebt die Hände) Ist das nicht wunderbar? Wir erleben ein weiteres Phänomen und geraten so in den interdisziplinären Bereich der Klang- und Geruchsflatulenzforschung. Vom reinen Nasenempfinden, würde ich sagen, haben wie es hier mit einem Würzburger zu tun (im Publikum verlegenes Hüsteln, eine Dame hält sich ein Taschentuch vor das Gesicht) Verstehen Sie mich nicht falsch: ein Würzburger ist eine köstliche Angelegenheit. Da hier jedoch das vorangegangene Geräuschphänomen dominant ist, reden wir von einer Chimäre, also einer Mischform, einem sogenannten Prallen Brüller mit Würzburger Komponente. Dazu hätte ich eigentlich erst im Geruchslabor kommen wollen. Dort können Sie nach Herzenslust unsere Atemmasken nutzen und kosten, was unsere Chemiker geschaffen haben. Den Flinken Stinker, den Siechen Riecher, den Schändlichen Schuft, die Tiefbraune Luft… (stockt und schnüffelt), Moment, ich glaube, es war doch kein Würzburger soeben… es könnte sich… vielleicht… sogar… um eine Postmortale Pestilenzpostille handeln, die immer noch nachwirkt… oder nein… bitte nicht… (hebt beschwörend die Hände). Meine Damen und Herren, ich muss Sie leider auffordern, unverzüglich das Institut zu verlassen (ein Alarmsignal ertönt, das permanent weiter anhält). Im Flur werden Gasmasken ausgeteilt, die Sie sich bitte solange vor das Gesicht halten, bis Sie im Außenbereich angekommen sind. Wir erleben ein seltenes und hochgefährliches Geruchsphänomen, das ich selber nur einmal am Rande wahrnehmen durfte (schreit): Ein Stiller Killer! Oh mein Gott! Bringen Sie sich in Sicherheit (Bewegung im Publikum). Machen Sie, dass Sie nach draußen kommen. Kümmern Sie sich nicht um mich. Ich werde bleiben. Lassen Sie meiner Frau ausrichten, dass ich meine Kinder liebe! Aber ich will hier nicht weichen. So etwas gibt es nur einmal in einem Forscherleben. Auch wenn es mich dasselbe kosten sollte. Das ist es wert. Das ist groß. So groß. Ich werde wahnsinnig vor Glück!

(während die Leute fliehen, dröhnt die Alarmsirene weiter, Doktor Stänker bleibt stehen mit erhobenen Händen)

Vorhang und Ende

Bildquelle: (c) DA

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