Novelle

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Tagebuch des Forschers

Von Andreas Mörtl.

1. Eintrag

Heute ist es mir zum ersten Mal erfolgreich gelungen, zwei artfremde Spezies durch Verschmelzen ihrer Doppelhelix-Stränge auf molekularer Ebene in ein neues Kleid zu stecken. Es fiel mir nicht leicht, die Auswahl durchlief einen langen Prozess, aber nun ist es geboren, das Schweinhorn. Anders als sein missglückter Bruder, das Einohr, handelt es sich hierbei um das Beste aus beiden Rassen. Die Sauberkeit des Schweins, plus die Zauberkraft des mythischen Tieres, schon hat man die eierlegende Wollmilchsau, von der so viele Jahre schon geträumt wurde.

2. Eintrag

Bin aufgrund starker Kopfschmerzen nicht zu Bett gegangen, habe mich stattdessen wieder in meine Aufzeichnungen vertieft. So weit ich es erkenne, bedarf es der Menschheit sehr nach dieser Erfindung. Ob wohl auch schon die richtige Zeit dafür gekommen ist? Das mag in den Sternen stehen, doch eine Gesellschaft, die ihre Windhunde in dicke Winterpullis packt, muss doch längst bereit sein für die mobile Hundewindel. Man stelle sich nur die Einsparung an Plastiktüten vor! Und erst die Rückenleiden, die damit eingedämmt werden können, kein lästiges Bücken mehr. Ich bin mir nur noch uneins über die Farbpalette.

3. Eintrag

Neues vom Schweinohr. Es legt täglich drei Kilo an Gewicht zu, ernährt sich hauptsächlich von rohem Fleisch, muss wohl am guten Brennwert liegen. Bis jetzt noch keine Eierproduktion, allerdings riecht der Kot herrlich nach Flieder, daraus ergeben sich neue Märkte.

4. Eintrag

Heute kam Alex vorbei und brachte mir neue Versuchsobjekte. Die letzte Charge Waisenbabies fand ja ihr tragisches Ende im neuen Impfstoff, ich darf diesmal nicht so unachtsam bei der Dosierung sein.

5. Eintrag

Unerhoffter Geldsegen. Eines meiner Patente erwies sich als Goldgrube, die wachstumshemmende Tablette für Finger- und Zehennägel erscheint noch diesen Monat in den Drogerien des Landes.

6. Eintrag

Probleme mit Schweinohr. Hugo, so habe ich ihn getauft, zeigt immer öfters aggressives Verhalten. Erst gestern hat er meinem Assistenten die halben Haare vom Schädel gefressen, Alex hat auch heute noch keine Wort zu mir gesagt und mich nur böse angefunkelt. Sieht aber auch schwer lächerlich aus, mit der Frisur. Jedenfalls, Hugo wächst prächtig, auch wenn er mittlerweile Gemüse ganz verschmäht und nur noch warme Innereien verspeist, Schubkarrenweise…

7. Eintrag

Für manche Erfindungen war die rechte Zeit noch nicht gekommen. Letztes Jahr wurde sie noch abgelehnt, jetzt plötzlich schreien die Konzerne nach meinem Gewächs. Kakab, die Grundlage für die süchtig machende Schokolade. Wollen sie im großen Stil in die Schulkantinen bringen. Bringt mir ein nettes Sümmchen ein, damit kann ich mir von den Arabern endlich die Brennzellen besorgen.

8. Eintrag

Schlechte Neuigkeiten. Die Hundewindeln erzeugen Ausschlag und führten zu einer Prozesswelle, und die neuen Versuchsbabys sehen gar nicht gut aus. Zwei von ihnen sind schon ganz blau angelaufen, und eines spricht mit vier Monaten plötzlich fließend hebräisch. Wunder oder Nebenwirkung? Jedenfalls zweifle ich langsam an meinem Vorhaben, Hühneraugen endgültig vom Erdboden auszurotten.

9. Eintrag

Hugo macht mir mehr und mehr Sorgen. Gestern hat er es tatsächlich geschafft, aus seinem Käfig auszubrechen. Er hat die Metallstäbe wie Streichhölzer umgebrochen, seine Hauer sind jetzt schon größer als die Stoßzähne eines Elefanten. Nur mit Mühe konnte ich das Betäubungsgas in den Raum einleiten, Alex hat es nicht mehr rechtzeitig geschafft. Hugo muss bereits eine gute Tonne wiegen, Alex sind die Augen aus den Höhlen rausgeploppt wie der Korken aus einer Sektflasche, als er sich auf ihn draufgesetzt hat. Himmel, ich glaube, nicht mal nach Alex ist Hugo satt. Überlege ernsthaft, die Forschung abzubrechen, aber diese Eier. Hugo legt jeden Tag vier Stück davon, und jedes ist so schwer wie ein großes Fass Bier! Und erst die Dunghaufen, was die Pharmakonzerne dafür hinlegen…ich will es drauf ankommen lassen.

10. Eintrag

Die Suche nach einem neuen Assistenten ist mühsam und anstrengend. Hugo zeigt sich wenig angetan vom neuen Futter, die Tierkörperentsorgungsanlage hatte sich schon über den Großauftrag gefreut, ich muss mir neue Wege überlegen, das Geld fließt mir nur so zwischen den Fingern hindurch…

11. Eintrag

Erneut schlaflose Nächte. Höre das Babygeschrei bis in den dritten Stock hinauf, ihre Stimmbänder sind bereits auf doppelte Erwachsenengröße angeschwollen. Den blau angelaufenen sind mittlerweile die Bäuche so mit Gas angeschwollen, dass sie hilflos brüllend durch die Station schweben und ihr giftiges Gas über das ganze Stockwerk verbreiten. Hochtoxisch, die Ausscheidungen können schwer verätzen. Das ist gründlich schiefgegangen. Keine Schwester hat sich bereit erklärt, auch nur einen Fuß dorthin zu bewegen, ich muss ganz alleine die Breitröge hinaufschleppen, spüre meine Beine schon kaum mehr.

12. Eintrag

Nur ein kurzweiliger Erfolg bei der Assistentensuche. Theresa, die nette rundliche Schwarzafrikanerin, hat Hugo bereits beim ersten Kontaktversuch mit einem Biss verschlungen. Konnte mich gerade so noch rechtzeitig hinter der Schutztür verbarrikadieren, mittlerweile reagiert er auf mich auch immer weniger. Er hat nun die Ausmaße eines kleinen Dinosauriers angenommen und wird sich seinen Käfig nicht mehr lange gefallen lassen.

13. Eintrag

Habe mich dazu niedergeschwungen, den Schwarzmarkt persönlich aufzusuchen, jetzt, wo Alex nicht mehr ist. Musste meinen Kräuterschrank wieder neu bestücken und die Konkurrenz abchecken. Monsanto forscht immer noch am Trinkwasser, Nestlé übt sich an den menschlichen Organen, und die Amerikaner geben das mit dem essbaren Zahlungsmittel einfach nicht auf. Wurde ja auch nichts mit dem Schlankmacher-Rindern.

14. Eintrag

Apokalypse auf der Babystation! Die fliegenden Wichte sind heute morgen nach der Futterausgabe plötzlich enorm angeschwollen und anschließend explodiert. Der Feuerball hat die gesamte Station verwüstet, die Sprinkleranlage hat das Schlimmste verhindern können. Habe zwei überlebende Objekte aus den Flammen retten können. Habe sie vor die Tür gezerrt, ihre Extremitäten sind wild verformt. Eines hat Stacheln am Rücken, das Andere hat Scherenhände. Werde mich am Kuriositätenmarkt umhören.

15. Eintrag

Neue Einkünfte. Habe endlich ein Mittel gegen den Geburtsmakel der Schlitzaugen bei Asiaten entdeckt. Nebenwirkung: Gelbsucht. Finde ich persönlich ja einen fairen Deal.

16. Eintrag

Hugo ist ausgebrochen! Heute morgen dachte ich zuerst, ein wüstes Erdbeben hätte unser Labor im erbarmungslosen Griff, dabei hatte Hugo in der Nacht nur eine weitere Wachstumsphase durchgemacht. Er muss das Dach durchstoßen haben und anschließend auf die nahegelegene Autobahn geflüchtet sein, legen zumindest die Hubschrauberaufnahmen nahe.

17. Eintrag

Die Zerstörung nach Hugos Flucht war grenzenlos. Das Labor muss von Grund auf neu aufgebaut werden und wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Ich stehe vor den Trümmern meines Lebenswerkes und weiß nicht mehr weiter. Hugo zieht eine Spur der Verwüstung durch das Land, die Opfer gehen bereits in die Hunderte. Die zwei Monsterbabys habe ich bei mir daheim im Keller eingesperrt und sediert, ich muss meine Gedanken neu ordnen.

18. Eintrag

Hilfe von unerwarteter Stelle. Das Regime stellt mir ein neues Labor zur Verfügung, samt Ausrüstung, Personal und neuer Forschungsgelder! Ein kleines Wunder. Wie mir gesagt wurde, war das Landesoberhaupt ganz entzückt von meinen Asiatenstudien. Mir wurde nahegelegt, mich hierin weiter zu vertiefen, neue Forschungsgelder werden mir zur Aussicht gestellt. Eine vielversprechende neue Mission!

19. Eintrag

Mein neues Team leistet tolle Arbeit. Zwar sehen die Gesichter, die mir das Regime zur Verfügung gestellt hat, durch die Bank alle gleich aus, aber wen stört das bei der Arbeitsleistung schon. Heute morgen kamen die neuen Babys an, durchwegs Prachtexemplare von der Frühchen-Station. Die ersten Infusionen werden morgen gelegt. Hugo hat sich in der Zwischenzeit von der Bildfläche entfernt, man vermutet ihn irgendwo ihn irgendwo im Chomolungma-Gebirge.

20. Eintrag

Alex II macht sich prächtig als mein neuer Assistent. Zwar hat er keine Zunge mehr (die wurde ihm schon auf der Geburtsstation damals entfernt, ganz schmerzlos), aber so kommt er meinen Befehlen stets ohne Widerworte sofort nach. Prächtiger Kerl. Die neuen Studien kommen ebenfalls gut voran. Ich bin bereits nahe dran, das Anima-Gen im Erbgut der Nordafrika-Rasse zu entschlüsseln. Bald gehört das Bild des schwarzen Triebtäters endgültig der Vergangenheit an, ich sehe bereits den großen Preis der Wissenschaft nahen.

21. Eintrag

Erneut Ärger in der Babysache. Es will und will mir einfach nicht gelingen, dieses Puzzle zu knacken. Diesmal sind zwar keine Exemplare frühzeitig verstorben, jedoch kam es erneut zu allerhand absurden Extremitätenbildungen. Einem Mädchen wuchsen ein paar Stummelflügel, Eines hatte statt Zähnen die Barten eines Wales, schreckliche Bilder für den Schlaf. Die behaarten Babys benehmen sich wie wilde und schmeißen mit ihrem Kot um sich, ich habe noch nie so behände Zweimonater gesehen.

22. Eintrag

Ich bin umgezogen, habe meinen Lebensstandard deutlich erhöhen können. Das Regime zahlt mir Unsummen für meine Forschungsarbeit, und auch meine privaten Studien schlagen immer mehr auf fruchtbaren Boden. Habe erfolgreich Schlafmohn mit Hopfendolden gekreuzt und das Saatgut patentieren lassen. Das Biermonopol hat mir dieses Kreuzschiff von Haus finanziert. Wen interessieren schon die neuen Süchtigen, wenn er seinen Pool mit Bargeld füllen kann!

23. Eintrag

Erneute Quarantäne auf der Babystation. Gut, ich sehe es langsam ein, dieses Forschungsfeld übersteigt meine momentanen Kompetenzen. Ich gebe mich geschlagen. Die Mutanten sind durchgedreht und haben sich gegenseitig abgeschlachtet. Das Bild nach dem Massaker hat sich auf ewig in mein Gedächtnis eingebrannt. Blut, überall, und diese ausgeweideten, aufgeblasenen und entfremdeten Körper…es schauderte mich eine Woche im Bett.

24. Eintrag

Die Babyforschung ist tot, es lebe das Jugendzuchthaus! Das Regime hat mir volle Entschädigung versprochen, ich habe in Zukunft direkten Zugriff auf die verkommenen Subjekte der Gesellschaft. Bei der Afrikaner-Forschung geht es schleppend voran, die Nebenwirkungen sind noch zu zahlreich. Ständig kommt es zu Auswüchsen bei den primären Geschlechtsorganen, irgendwie das Gegenteil von dem, was wir erreichen wollten. Wir müssen der Gruppenbildung entgegenwirken, es scheint bereits zu zahlreichen Bünden unter den Objekten gekommen zu sein.

25. Eintrag

Die Arbeit mit den Jugendlichen gestaltet sich schwieriger, als ursprünglich gedacht. Sie zeigen sich recht aufmüpfig und ungehorsam. Konnten mit den Tests noch nicht starten, weil drei in den Hungerstreik getreten sind und nicht ansprechbar waren. Alex II erweist sich als guter Aufseher und dreht den besonders Delinquenten gern das Licht über Nacht nicht ab, die Schreie hallen hunderte Meter weit durch die leeren Flure in der Nacht.

26. Eintrag

Chaos auf der Afrikaner-Station! Die Objekte haben im Geheimen eine Verschwörung ausgemacht und sind auf meine Angestellten losgegangen, es kam zu einem Blutbad in der Kantine. Ich habe mich im Trakt der Jugendlichen einsperren können und bin hier vor den Wilden geschützt, fürs Erste.

27. Eintrag

Oh Gott, was habe ich mich in falscher Sicherheit gewogen! Ich war sicher vor den Wilden draußen, aber nicht vor dem Horror dieser Station. Kaum, dass ich die Tür hinter mir zuhatte, fiel das Licht auf der Station aus, und der Alptraum begann. Ich hörte, dass die Jugendlichen scheinbar aus ihren Fixierungsvorrichtungen entkommen waren und sich verbündet hatten. Von Geburt an mit einem Nachtblick versehen, war es für sie ein leichtes, mich in die Ecke zu treiben. Mein einziges Glück war es, dass ich die Station besser kannte, als mein eigenes schickes neues Anwesen zuhause. Ich floh panisch in die WC-Anlagen und konnte mich von dort in die Lüftungsschächte hochzwängen, von hier aus schreibe ich mit zittriger Hand diese Notizen.

28. Eintrag

Dritter Tag in den Leitungen. Ich war hier oben sicher, aber ich fand keine Sekunde lang Ruhe. Ständig herrschte unter mir eifriges Gewusel, die Suche nach mir wurde so schnell nicht aufgegeben. Gütiger Herr, die ständigen Schläge auf die Rohrleitungen brachten mich schier um den Verstand! Ich war gezwungen, ständig in Bewegung zu bleiben, wollte ich nicht wegen einer Unachtsamkeit entdeckt werden, die mein sicheres Ende bedeuten würde.

29. Eintrag

Kann man das einen Lichtblick nennen? Heute schafften es die Wilden, durch das Tor zu brechen und in die Station einzufallen. Es kam zu ersten Auseinandersetzungen und Toten, bis man sich plötzlich über den gemeinsamen Feind bewusst wurde und sich verbündete. Die Station wurde verlassen, ich wägte mich endlich für einen kurzen Moment in Sicherheit und konnte ein Auge zu tun. Zum Preis, dass die Kräfte meiner Widersacher nun gebündelt waren.

30. Eintrag

Sie haben mich entdeckt! Ich war gerade dabei, eine Axt aus der Wandvorrichtung zu stehlen, als sie zu dritt über mich herfielen. Einen konnte ich mit dem Stiel noch erschlagen, die anderen beiden ließ ich sprintend hinter mir.

31. Eintrag

Die Toilette. Verschlossen. Schläge. Schreie. Ich schließe die Augen. Höre das Splittern der Tür. Füße treten näher. Man packt mich. Brüllt. Hinaus. Auf die Knie. Nur ein kurzer Schmerz, nur ein kurzes Aufblitzen am Ende, oh bitte, mehr verlange ich nicht am Ende.

Bildquelle: (c) DA

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