Novelle

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…und nun zu mir

Von Clemens Ottawa.

Dramaturgische Handlung.

Er, der Herr Papa – gar nicht mal so klein – Sie, die Frau Mama – dagegen schon eher – flanieren Hand in Hand über den Boulevard of Dreams. Arno Klieber, wie der Kleiber, nur mit anderem Diphthong und Agathe Trottning sind seit gut elf Monaten zusammen. [Kleinere Querelen – nichts Ernstes allerdings] – Blind Date sei Dank [auch ein blindes Huhn findet ja bekanntlich mal ein Korn].

Intermezzo der kleineren Querelen:

Wo hast du…?

Ich hab’ gar nichts…

Du hattest doch zuletzt noch…!

Nein, sicher nicht….

Ah ja. Schon gefunden. Glück gehabt.

Was soll denn das wieder heißen.

Na, nichts, nichts. Lass uns kuscheln.

Nein, ich will jetzt nicht.

Ach, Gott. Jetzt bist du wieder sauer, wegen nichts und wieder nichts.

Und so weiter und so fort. Vorhang. Leise Lautenmusik ertönt. Adagio. Nein. Forte ist das. Manchmal auch Ambiente-Walklänge aus den Ozeantiefen.

Ansonsten aber, das fiel ihnen gleich nach der ersten Begegnung auf, ergänzen sich die beiden ganz fabelhaft. Seit letztem Monat sogar die erste gemeinsame Wohnung. Man teilt also nun Gleichungen und Tisch und Bett und Meinung.

Gesprächsthemen, bei denen ihre Meinung vollkommen identisch ist:

Am schlimmsten doch, sind wohl diese Menschen, die vor einem, auf menschenleerer Straße trotten und mit ihren ungeheuren Plattfüßen, immer gerade in die Richtung schwenken, in der du zum überholen ansetzt.

Genau

Und das ganze kann sich dann über mehrere Minuten ziehen!“

Grausames Spiel!

Oft wird dieselbe Art Menschen auf überfüllten Bürgersteigen, magisch von Schaufenstern angezogen. Urplötzliches Stehenbleiben.

Auflaufen der hinter ihnen Gehenden.

Exakt.

Als würden sie nachdenken, über Weltbewegendes.

Sie blicken dann verdutzt, wenn man aufläuft oder links oder rechts überholt.

Warum hat der/die es so eilig, scheinen sie sich dann, mit ihrem echauffierten Schlafzimmerblick zu fragen. Stress macht doch krank.

Und meist, Stereotype aber wahr, sind es die älteren oder alten Damen.

Diejenige Sorte von alten Damen, die im Winter mit ihren dicken Pelzmänteln und ihrer dicken Pelzmütze und ihrem gedrungenen Körper und ihrem humpelnden, ungeraden Gang, wie Trolle wirken.

Du sagst es.

Hat er? – Ja, er hat, in seiner echten Hosentasche einen Vermählungsring versteckt. Weiß sie? – Nein sie weiß es nicht – hat keine Ahnung. [Kühle Brise zieht auf] Schnell den Pullunder übergestreift.

Haare zu einem Zopf gebunden – bei ihr – aus seinen Haaren kann man nicht mal mehr eine Frisur machen. Männer mit Haarausfall sind potenter, hörte er einmal. Gut so. Kinder? Ja, Kinder sind durchaus ein Thema, zumal sie ja Kindergärtnerin, oh, no, politisch korrekt Kindergartengartenpädagogin ist [aber ja nicht solche Kinder bekommen, wie die schrecklichen Satansbraten in der Arbeit]. Also Kinder, vor allem jetzt – sie – 35 – er – 34 – war Jesus nicht so alt, als ihn das Zeitliche segnete, also vielmehr segnete ja ER. Kurzum: Da ist es wohl an der höchsten Zeit. [glaubt man dem gesellschaftlichen Druck]

Entgegen der Konventionen wollten beide ohnedies nicht leben. Viel zu aalglatt verlief ihre elterliche Erziehung. Genauso glatt würden sie auch selbst erziehen, eines Tages, wenn ihm was auskommen sollte und ihr dann auch.

Heirate einen Reichen, dann passt’s, sagten ihre Eltern – heirate ja eine Anständige, meinten seine. Anständigkeit war ihm in der Tat wichtig. Nicht über Unanständigkeiten lachen. Grinsen, oder Schmunzeln tut es auch. Reichtum war ihr einigermaßen wichtig. Arno Klieber war wohlhabend. Vielleicht mal bald ein großer Hecht im Bankenteich [Pleite? Was ist das?]. Hätte sie ihn auch lieben gelernt, wäre er ein Vielfaches ärmer, fragt sie sich wagemutig. Sicher ist sie sich nicht. Aber er ist eine gewisse Sicherheit! Keine…noch keine Anstalten von Gemütschwankungen, Irrsinn, Übermut oder messianischen Fantasien. Was die Zukunft bringt, ist freilich unbekannt. So unbekannt, wie das andere Ende beim Wählen einer Telefonsexhotline, was er das letzte Mal mit 21 gemacht hatte und sich danach eine Woche in Grund und Boden schämte. Zaghaftes Fragen: Was tust du denn gerade tragen tun? Breite, lehrerhafte Antwort: Junge, hat man dir nicht gesagt, dass „tun“ ein Pfuiwort ist? Ich habe gerade nichts an. Willst du mit mir spielen? Hallo? Hallo? Da war aber schon aufgelegt. Sex und Grammatik, das war damals zu viel.

Er schlägt – sie fest an der Hand – den Weg zu ihrem Lieblingsplatz ein, an dem sie einander das erste Mal küssten [es war ein 11. September, aber nicht 9/11] und dann zu ihm nach Hause gingen. Sie öffnet sie Haare – er erregt. [in der Wiese sitzen Arno und Agathe, trotzend der Angst vor Grasflecken] Liebesnestalarm. Sie wendet ihren Kopf, schwanengleich – rechts – links – Manöver – Er – steif wirkend – wühlend in der echten Hosentasche. Da! Er zaubert angesprochenen Vermählungsring hervor. Ein Schlingel, der. Hochroter Kopf. Ein magischer Moment, denn sie so augenblicklich nicht erfasst. [Kopfhautjucken und Bienenangriff] Erst, da er die magischen Worte: Willst du? Du willst! Du! Frau! Heirate mich! spricht. Er schwitzt – sie schnieft. Magie. Sie ganz ergriffen. [Fasse dich Mädchen und kurz obendrein] Ganz der Etikette folgend antwortet sie: Ja, ich will! Dich! Mann! Heiraten!

Arno Klieber und Agathe Trottning, die studierte Psycholinguistin, mit grausam schlechten Berufsaussichten werden nun also heiraten. Den Akt haben sie zudem schon des Öfteren vollzogen [von wegen für die Ehe aufsparen] –noch ohne Konsequenzen [thanks Christ], weil ja brav Verhüterlis [Pariser, immer diese Pariser] genommen wurden und werden, jedenfalls solange man noch in „wilder Ehe“ lebte.

Sie gehen dann Hand in Hand in Richtung Fluchtweg – Ausgang – Exit. Heute – zu ihm. Bald leben sie also zusammen, als Ehepaar. Dann wird alles paarweise gemacht. Eingekauft („Bananen für dich und Bohnensuppe für mich, Schatz!“), ausgezogen („Die Hose brauchst du jetzt nicht mehr!“ „Du brauchst das Hemd aber auch nicht!“), umgetauscht („Das ist doch nicht Größe 38!“), unterhalten („Hast du das von den Schmidts gehört! Angeblich Endstadion bei ihm und Anfangsstadion bei ihr!“), angegeben („Meine Ehefrau kann gaaanz schnell Kopfrechnen…viel schneller, als deine!“), eingebildet („Glaubst du, dass ich Gewicht abgenommen hab?“ „Ja, da bin ich mir ziemlich sicher. Und glaubst du, dass mir wieder Haare wachsen…da, genau hier?“ „Ja, das sieht so aus! Ach, wir werden immer hübscher, sag’ ich dir!“), aufgedeckt („Aha…da hat sich die TV-Zeitung also versteckt!“)

Er fragt sich, nach dem Sexualakt, im Badezimmer stehend, warum man im Laufe seines Lebens mindestens ein Dutzend Menschen ähnlich sieht. In beinahe jedem Jahrzehnt jemandem anderen. Agathe, sie sich in die Bettdecke kuschelt und deren Augenpaare flimmern wie das Nordlicht, erinnert ihn manches Mal an diese Schauspielerin. Wie hieß sie noch gleich? [in dem Streifen das Piano war sie…Vanessa Redgrave? Nein!…wer will schon ein rotes Grab? – Naja, mal abgesehen von ewiggestrigen Kommunisten!]

Frau seiner Träume – Mutter seiner Kinder – Aufbewahrerin seiner irrgeleiteten Haare. Sie beobachtet ihn, röntgenbeäugend, durch den Türspalt. Kein Adonis. Fürwahr. Doch gut. Zu ihr und für sie. Und finanziell. Absolute Absicherung!

Wie er so dasteht, sich einen schöneren, kräftigeren Körper wünschend. Sie kann seine Gedanken lesen, denn sie ist sein Gedanke.

Frau seiner Gedanken. Mutter seiner Kinder. Bewunderin seines Leptosomenköprers. Manchmal spielt das Schicksal eben so. Ebenso, hätte sie bei jemandem ganz anderen landen können. Früher, als sie daran noch interessiert war.

Interessieren wird sie später auf jeden Fall, dass ich in dieser Nacht gezeugt wurde. Geburt und alles drum und dran werden folgen und mit Sicherheit – jawohl: Mehr Haare am Kopf, als der Erzeuger!

Bildquelle: (c) DA

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