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Über

das Seelenleben des Fleischfressers

Von Michael Wenzel.

Vor Millionen Jahren, grob geschätzt, lebte ein zottliges Wesen auf den Bäumen. Das fraß, was ihm vor die Nase kam: Blätter, Beeren und etc. Lange lebte es dorten und fraß solches. Ob es glücklich war oder nicht, ist nicht bekannt und tut auch nichts zur Sache.

Jedenfalls hingen ihm irgendwann die Beeren ellenweit aus dem Hals, und es griff des Öfteren danach, was zudem die Bäume bewohnte: Käfer, Spinnen und etc. Die fraß es auch, – und sie mundeten ihm. Als es ab und an nach unten spähte, sah es andre vierbeinige Wesen, bei weitem größer als Käfer. Die mussten noch besser schmecken. Ja, so fing das Denken an!

Woraus ein folgenschwerer Entschluss erwuchs: das Wesen stieg vom Baum und wurde Mensch und wurde Fleischfresser. So oder ähnlich hat es sich zugetragen. Weil aber die großen Vierbeiner sich nicht so leicht fangen und verspeisen ließen, erdachte der Mensch manch nützliches Gerät und zudem das Feuer, was wir aber übergehen wollen. Wir freilich springen Millionen Jahre vorwärts, genauer: bis in unsere Tage.

Denn da hat der Mensch, ganz nebenbei an und in sich selbst forschend, dank der Tiefseelenkunde das Fleischfressen genauer ausgeleuchtet und etliches ans Licht gezerrt. Es wurde nämlich behauptet, ohne das Fleischfressen wäre der Mensch immer noch der plattnasige Baumhocker und innerlich überhaupt ganz anders verschnürt. Enorm hat das Fleischfressen bestimmt den Fortpflanzungstrieb angefacht. Denn Fleisch zieht es nun einmal zum Fleisch, wie überall zu sehen. Die Folgen: eine hemmungslose Vermehrung, um immer mehr junge Fleischfresser auf die Welt zu werfen.

Weil aber das Fleisch der Vierfüßler bald nicht mehr ausreichte, schob man den Aggressionstrieb nach vorne, um bei fehlendem Nachschub auch andere Zweibeiner entleiben, rösten, fressen zu können/zu dürfen – aber nur eine kleine Weile. Weil da hat eine andere sonderbare Gemütsentdeckung geschimpft und arg gezetert: das sei abscheulicheklig und würde vom oberhöchsten Fleischspender, dem großen Urvater, furchtbar bestraft.

Aber der Aggressionstrieb war nun einmal herbeigerufen, und man grübelte lange vor kümmerlichen Grillspießen, bis der Selbsterhaltungstrieb den Durchbruch schaffte. Den praktizierte man fleißig und mit Vorliebe, was heißt, man zog in den Krieg, um andre von den wohlgefüllten Fleischtöpfen zu schubsen und die lästigen Rivalen im Fleischfressen zu dezimieren. Nebenbei sackte man auch ein schönes Stück Land ein, um viel Fleischnachschub heranzuzüchten. So kam der Bemächtigungstrieb in Schwung und hat seitdem kein ruhiges Plätzchen mehr gefunden.

Doch bei seinem Mords Appetit und bei der Riesenangst, in leere Pfannen zu schauen, musste das Menschwesen sich abrackern und rührig den Tag zu Ende bringen, bevor es sich gemütlich ans Schmatzen machen durfte. Das war die Zeit, wo der Schaffenstrieb heranwuchs, welcher sich soweit auswuchs, dass der Mensch nun Gold und bunte Scheine hortete, um Fleischvorräte zu sichern und wobei er ‒ ganz nebenbei ‒ auf den Besitztrieb gekommen ist.

Eines jedoch stellte man früh fest. Nirgendwo schmeckt das Fleisch besser als in einem Haufen, wo ein jeder fröhlich am Knochen nagt und sich an Geschichten über das Fleischfressen ergötzt. Man nannte das in einfacher Lautsprache Feiern, was aber nur der gelebte Geselligkeitstrieb ist.

Im Übrigen genoss der Mensch das Fleisch und das Leben vortrefflich – bis ihm eines Tages die Zähne ausfielen. Ohne Fleischessen wollte er aber nicht mehr leben und legte sich verbittert zum Sterben nieder. Um das hinzukriegen, tat man gut daran, den Todestrieb aus der Seelenfinsternis hervorzuholen. Der sollte dem Fleischfressen, was wir jetzt schon als Lebenstrieb durchschaut haben, den Garaus machen.

Das schien aber einigen Fleischfressern ein gar zu unrühmliches und endgültiges Ende zu sein. Sie prophezeiten, dass der allerhöchste Fleischspender seine lieben Fresser gnädig bei sich aufnehme, um sie an seine überreiche Fleischtafel zu setzen. In dieser barmherzigen Hoffnung, so sagt die Seelenkunde, zeige sich schön der nie versiegende Überlebenstrieb, was einfach der Wunsch ist, für immer zu leben. Womit der Kreis geschlossen ist.


die Seelenlage eines Vegetariers

Wohl ist ein Vegetarier einer, welcher Vegetation isst, um vegetieren zu können. Das darf nicht verwundern, ist doch jene Form der Nahrungsaufnahme weit verwurzelt und einer auswuchernden Nachahmung ausgesetzt. Vegetation freilich findet sich in, auf und unter der Erde – was aber nur eine allgemeine Beschreibung darstellt. Denn für Tiere gilt das auch. Der Pflanzenesser lehnt es aber strikt ab, Tiere zu essen, weil Tiere das nicht mögen, wenn sie geschlachtet werden, was meist vor dem Kochen oder Braten geschehen soll. Tiere fühlen, dass sie heranwachsen, um für unseren Appetit getötet zu werden: so sagen die. Der Kohlkopf lebt natürlich auch, und es soll ihm nach der Überzeugung der Vegetarier auch irgendwie schmerzen, abgeschnitten und zerkaut zu werden. Da hilft wenig, dass er zu bestimmten Mondphasen und Gebeten leichter darüber hinwegkommt. Aber es scheint doch die Bestimmung der Flora und Fauna zu sein, gegessen zu werden, denn sonst wüssten die Vegetarier nicht, was sie überhaupt essen sollten, und würden wirklich dahinvegetieren.

Eine solche Bestimmung ist in der Natur für Tiere undenkbar. Sie sollen einfach glücklich leben. Denn ein Schnitzel zu werden, kann nicht im glücklichen Sinne eines Schweins sein. Es würde auch nicht selbstlos die Form von Würsten einnehmen. Ganz strenge Vegetarier gehen sogar Eiern und unschuldig weißer Milch aus dem Weg, denn sie sagen: es kann nicht im Wesen eines Huhns liegen, ungefragt Eier für uns herauszudrücken. Auch darf man beispielsweise nicht die Haut einer Kuh hernehmen, um Schuhe daraus zu machen, also noch nach dem Tod auf dem Tier herum zu trampeln.

Ihr Denken nennen die Vegetarier natürlich. Es steht im Einklang mit dem Kosmos, dem reinen Astralklang, den Engeln, Wald- und Feldnymphen, den weisen Erdgeistern und der dickbrüstigen Muttergöttin, die ihre Vegetarier liebt, über die anderen aber bitter weint. Am liebsten wäre es den Vegetariern, wenn es nur Vegetation gäbe. Aber das sagen sie nicht offen, weil es noch uns andere und die anderen Tiere gibt.

Natürliche Tiere essen Vegetation. So der Esel und das Kamel. Einige jedoch und wir, am Ende der Nahrungsverwerter angekommen, haben uns zu unnatürlichen Allesfressern herabentwickelt, seien von der pflanzenspendenden Erde abgefallen, zu der wir uns wieder beugen müssten. Deshalb kommen Vegetarier stets mit gesenktem Kopf einher, – nicht nur, um unterwegs essbare Vegetation einzusammeln.

Vegetarier ist man nicht nur ein wenig, lebt nicht nur am Rande des Keimenden und Sprossenden. Es gehört einfach dazu, sich bald mit gereinigtem Körper, und geläutertem Innern zur Vegetation zu bekennen, sich ihr auszuliefern. Somit hüllen sie sich in vegetationsfarbenes Eigengefertigtes, um ein ähnlich geschlechtsneutrales Aussehen anzunehmen. Als Vegetarier hat man fast die himmelhohe Stufe eines Baumes erklommen. Übrigens versuchen sie auch sonst, vegetationsfremde Annäherungs- und Befruchtungsformen zu vermeiden – einige bekennen sich sogar offen zur Selbstbestäubung. Sie verbringen ihr Dasein splitterfasernackt und hoffen, dadurch die verlorene Einpflanzung irgendwann wiederzuerlangen. Wichtig jedoch ist, wenn man schon etwas anziehen muss, dass nur Vegetabilisches an die Haut kommt. Somit lehnen sie Wolle strikt ab, weil es nicht die Natur des Schafes sein kann, uns Umhüllung zu spenden, während es selber frieren darf.

Nur Vegetation schenkt sich, ist in den Kreislauf von Geben und Vergeben eingebunden, obwohl natürlich nicht jeder Vegetarier abwarten kann, bis die Birne selbst vom Baum fällt. Beim Salatkopf kann der sowieso lang warten, von Kartoffeln ganz zu schweigen. Das jedoch gleicht der Vegetarier aus, indem er vor dem Abpflücken, Ausgraben und Verzehr jeden Teil der erdhaften Nahrung um Verzeihung bittet. Somit kommt die Nahrungsaufnahme einem Erdendienst gleich, bei dem man Vergebung erbittet, noch keine festen Wurzeln geschlagen zu haben – übrigens die höchste vorstellbare Form des Seins. Das Gebet schließt mit den Worten: Verzehre mich, denn ich werde bald selbst verzehrt.

Echte Vegetarier essen auch nur Rohes, direkt vom Strauch oder aus dem Boden gegraben: Beeren, Knollen, Gras und Blätter. So geht reine Vegetation unmittelbar über. Selbst wenn jetzt noch starke Krämpfe in den Gedärmen toben und heftiger Gasandrang anhebt – auch die grüne Farbe im Gesicht mag daher stammen –, so dienen diese Übelstände einer natürlichen Reinigung und werden bei längerer Angleichung an die Vegetation gewiss ausgeglichen. Daher rührt auch der ins Faulige übergehende Geruch, den Vegetarier hinter sich herziehen.

Alles aber, was Nichtvegetarier den unschuldigen Tieren nehmen, rauben sie. Vergehen gegen Tiere und überhaupt die natürliche Vegetation prägen und quälen daher den Vegetarier schwer. Er meint, ständig die Schuld der uneinsichtigen Nichtvegetarier auf sich nehmen und bitterlich sühnen zu müssen. Das macht ihn griesgrämig und übellaunisch, weil er unter der fremden Last schier zerbricht und sowieso schwache Schultern hat. Daher schleicht er über die Erde, in die zu legen er erhofft, um endlich Vegetation zu werden. Das nennt er Erlösung. Und somit wäre der Kreis geschlossen.

Bildquelle: (c) DA

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