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Kennen Sie Kuibyschewsky?

Von Helmut Glatz

Kennen Sie Kuibyschewsky? Kennen Sie Sokolov? Zwei Klassiker der Moderne im ausgehenden einundzwanzigsten Jahrhundert. Den Positivismus konsequent negierend, schufen sie den konstruktiven Negativismus, also die Lehre1 vom Nichts, vom gestalteten Nichts.

Sie schrieben nichts, sie malten nichts, sie komponierten und sangen nichts. Sie enthielten sich sogar der Sprache2 und setzten das Quantum ihrer Essrationen auf so etwas wie ein Bifi und einen Bio-Müsliriegel zurück.

Was ist das Nichts?, war ihre Ausgangsfrage, und als sie diese gelöst hatten, beschäftigten sie sich mit weitergehenden Problemen: Was ist Nichts plus Nichts? Was ist Nichts mal Nichts? Was ist Nichts hoch Nichts? Und dann die kühne Fragestellung: Ist Nichts minus Nichts ebenfalls Nichts – oder nichts?

Die beiden kamen schließlich zu dem Ergebnis, dass es zwei Qualitäten des Nichts geben müsse: Das qualitative Nichts und das unqualifizierte Nichts: Eines substantiell, das andere substanzlos, eines unangreifbar, das andere nicht fassbar, eines definierbar, das andere… Aber welches nun?

Vergegenwärtigen wir uns das Problem an einem Beispiel der Philosophen und stellen uns die Frage: Welche Farbe besitzt ein Kreis? Wir nehmen ein Blatt Papier, ergreifen einen Bleistift und malen einen Kreis. Dessen Farbe aber ist die Farbe des Papiers, sein Umkreis die Farbe des Bleistifts, aber was ist die Farbe des Kreises?

Also müssen wir uns das Papier, den Bleistiftstrich und alles andere wegdenken, Was bleibt? Nichts. Oder doch etwas: Der farblose, unsichtbare Kreis unserer Vorstellung. Mit den Worten der konstruktiven Negativisten: Das substantielle Nichts eines Kreises.

So gesehen gibt es unzählige Nichtse. Das Nichts eines nichtvorhandenen Hauses, das Nichts der untergegangenen Saurier, das Nichts des Neumonds.

Das substanzlose Nichts hingegen kommt ohne Saurier, ohne Neumond und ohne Häuser aus.

Ja, es existiert sogar ohne Worte. Eliminieren Sie das Wort Nichts aus Ihren Bewusstsein!

Vernichten, vernichtsen Sie das Nichts! Verbrennen Sie diese sechs Buchstaben auf dem Altar Ihrer jämmerlichen Existenz! Schreien Sie Ihre Not hinaus! Brüllen Sie an gegen die Zeitenflut dieser Zukunft, wie einst Demosthenes gegen die Wellen schrie, bis Ihnen der Atem ausbleibt, bis Sie sich die Lunge aus dem Hals geschrieen haben!

Anhang: Die beiden konnten gerettet werden. Kuibyschewsky befindet sich nunmehr in einem Salatorium am Schwarzen Meer, während Sokolov die Erfüllung seiner Existenz als Straßenkehrer in einer altindischen Kleinstadt gefunden hat.


1 Gelegentlich hier auch als „Leere“ bezeichnet.

2 Eine zweifelhafte Aussage, die im Widerspruch zum anschließenden Text steht.

Bildquelle: (c) HG

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