Von Thorsten Krämer.
Klar, von außen betrachtet sieht das aus wie der einfachste Job der Welt. Das Auto fährt, ich sitze nur drin und muss nichts machen. Aber so einfach ist das auch wieder nicht. Denn Fahren ist nicht gleich Fahren, das weiß jeder, der schon mal hinterm Steuer gesessen hat. In jeder Situation kann man auf verschiedene Weise reagieren, mal mehr Gas geben, mal weniger, mal jemanden vorlassen oder auch nicht, und allein die Frage, für welchen Parkplatz man sich entscheidet! Jede Fahrt mit dem Auto, und sei sie noch so kurz, ist ein hochkomplexes Geflecht aus Entscheidungen, die meist in Sekundenbruchteilen getroffen werden müssen. Der Computer, der den Selbstfahrer steuert, hat natürliche eine Mega-Rechenpower, da kann ich nicht mithalten, aber ich kann jede seiner Entscheidungen mit denen vergleichen, die ich als menschlicher Fahrer getroffen hätte. Und genau das ist im Grunde mein Job. Ich kann mich also nicht einfach auf dem Beifahrersitz fläzen und aus dem Fenster schauen, sondern muss die ganze Zeit hochkonzentriert sein, konzentrierter noch als ein normaler Fahrer. Denn das Ziel unserer Technik ist ja nicht nur das unfallfreie Fahren, nein, die Selbstfahrer müssen sich auf eine Weise in den Verkehr einreihen, die für natürliche Fahrer nicht störend ist. Auch beim Straßenverkehr geht es ja letztlich, wie bei jedem menschlichen Miteinander, um Kommunikation. Die künstliche Intelligenz, die unsere Wagen steuert, muss also nicht nur Verkehrszeichen lesen, sie muss jeweils die ganze Situation interpretieren. Das lernt sie anhand meiner Rückmeldungen, mit denen ich jede einzelne Entscheidung bewerte. Zu diesem Zweck fertige ich während jeder Fahrt Protokolle an, für die ich extra eine eigene Notation entwickelt habe. Das ist eine Darstellungsweise, die möglichst viele Parameter erfasst. Gleichzeitig muss ich bestimmte Einträge und Vermerke sehr schnell machen können, da die Fahrt ja weitergeht. Aus diesen Vorgaben ist ein System entstanden, das auf den ersten Blick zwar etwas verwirrend wirkt, aber sehr effizient ist, weil es eine prozessbezogene Evaluierung ermöglicht. Das klingt jetzt alles sehr technisch, deshalb hier mal ein Beispiel: Abb. 1 zeigt das Protokoll einer Fahrt, in der die KI insgesamt zu viele Entscheidungen getroffen hat, die von denen eines Menschen in einer vergleichbaren Situation abweichen. (Die Varianz innerhalb der menschlichen Entscheidungen ist dabei bereits berücksichtigt.)
Deutlich zu erkennen sind etwa die Abweichungen der Werte der Kurvenkoeffizienten sowie das wiederholte zu regelmäßige Abbremsen vor Tempo-30-Zonen (gelb schraffiert). Alles in allem schaffte es die KI mit dieser Fahrt nicht, das andere Ende des so genannten Uncanny Valley zu erreichen, mit anderen Worten: Ihre Fahrweise wirkte zwar nicht offenkundig künstlich, aber auch nicht natürlich genug, am ehesten vielleicht noch vergleichbar einem menschlichen Fahrer in einem psychischen Ausnahmezustand. Im Vergleich dazu zeigt Abb. 2 ein wesentlich besseres Ergebnis.
Sofort ins Auge fällt hier der Gebrauch der Hupe (grüne Linien). Die meisten Autofahrer nutzen die Hupe rein expressiv, während genau dieser Gebrauch der KI für gewöhnlich fremd ist. Sie hat keine Emotionen wie Ärger oder Wut, die sie lautstark ausdrücken müsste. Dass sie während dieser Fahrt dennoch die Hupe betätigt hat (und zwar in einer an sich ungefährlichen Situation), ist daher als besonderer Lernerfolg zu verbuchen. Insgesamt zeichnet das Protokoll das Bild einer nuancenreichen Fahrt, die schon sehr nahe an ein natürliches Fahrverhalten heranreicht. Diese Evaluierung wird nun dem Computer als Feedback eingegeben, was zu einer Verstärkung der Wege führt, die zu den als menschlich eingeschätzten Entscheidungen geführt haben. Festzuhalten ist noch, dass zwischen beiden Protokollen nur zehn Fahrten gelegen haben — eine beachtliche Lernkurve! Davon darf man sich aber nicht täuschen lassen. Die letzten Feinheiten dauern am längsten, und ehe das Projekt in Serie gehen kann, soll ja nicht nur ab und zu eine Fahrt perfekt verlaufen, sondern in zuverlässiger Regelmäßigkeit. Um meinen Job muss ich mir also in nächster Zukunft keine Sorgen machen. Und wenn es dann eines Tages so weit ist, dass ich nicht mehr gebraucht werde, freue ich mich darauf, von meiner KI kutschiert zu werden, ohne groß auf sie achten zu müssen. Dann kann ich mich wirklich auf dem Beifahrersitz fläzen und die Reize der Landschaft genießen!
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