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KOMNUNIKÄYSCHNBITTE

Von Ralf Oberbarnscheidt.

So sieht also erst einmal der Feierabend aus. Der dreiundvierzig-jährige Heiko, kleiner Kaufmann in einem großen Konzern, ist am Ende seines Arbeitstages angekommen und: steht mal wieder im Stau. Ausgerechnet im Autobahntunnel. Jeden Tag das gleiche Spiel. Kaum ist es im Betrieb Büroschluss rennen alle – eingeschlossen Heiko selbst – zu ihren Autos und versuchen, rechtzeitig vor den anderen und vor Beginn der großen Stoßzeit auf der Autobahn zu sein. Niemand schafft es. Alle stehen im Stau. Aber jetzt ausgerechnet wieder im Tunnel? Heiko weiß, dass er die Fenster nicht herunterfahren lassen darf und auch die Lüftung aus lassen muss, da sonst die Abgasschwaden im Tunnel ins Wagen-Innere dringen. Auf der anderen Seite wird die Luft im Wagen immer schlechter; wer weiß, wie lange sie noch halbwegs erträglich ist, bevor er total schläfrig wird, was im ständigen Stop-and-Go fatal sein kann. Na ja, so viele Kilometer bis zum Tunnelende werden’s wohl nicht mehr sein, denkt Heiko.

Vierzig Lichtjahre. Ein Katzensprung in astronomischen Maßstäben. So weit und ein klein bisschen weiter reicht die neue Apparatur der Rötlinge, die fast so aussehen wie E.T., nur viel blasser, auf dem vierten Planeten um den Zwergstern Trappist-1, der die Umgebung der Wissenschaftler in ein sanftes, rotes Licht taucht. Man hat es sich zu Nutzen gemacht, dass sich Information im Gegensatz zu Materie schneller als mit Lichtgeschwindigkeit übertragen lässt. Vieles in der Kommandozentrale, die aussieht wie bei einem Spaceshuttle-Start, nur irgendwie fortgeschrittener, ist auch für einen einzelnen Rötling-Wissenschaftler kaum erklärbar. Eigentlich war die Entdeckung das Ergebnis von einigen Zufällen, aber zumindest der Scan nach Information in bis etwas über vierzig Lichtjahren Entfernung funktioniert. Dann vor einiger Zeit die erste Sensation: großer Austausch von Informationsströmen auf einem circa vierzig Lichtjahre entfernten, ganz am Rand der Reichweite des Scanners gelegenen, blauen Planeten. Dann auch noch die zweite Sensation: ohne dass man im Nachhinein noch genau sagen konnte, wie es dazu gekommen war, konnte man sich in das akustische Sprachübertragungsnetz der Menschen, wie sie sich nannten, einschalten. Heute sollte der große Versuch einer ersten Kontaktaufnahme zu den Menschen starten. Leider hat noch niemand herausgefunden, wie man ein spezielles Ziel anwählen kann und ist beim Kontakt auf den Zufall angewiesen. Die Spannung steigt!

Heiko will nur noch seine Ruhe. Es ist spät. Er hat den Business-Anzug aus- und seinen Jogginganzug, der über dem Bauch leicht spannt , angezogen. Sein Toupet sitzt jetzt auf dem Kunstkopf im Bad. Nach dem Abendessen mit seiner Frau, die mittlerweile schon zu Bett gegangen ist, fläzt er sich mit einer Flasche Bier auf der Couch vor dem Fernseher. Er kann noch nicht schlafen. Es läuft irgendeine Musikdoku, Amy Whinehouse singt gerade „Rehab”. Die Flasche Bier ist schon wieder leer. Er schleicht in die Küche, um sich eine neue zu holen. Da klingelt das Telefon. Wer, um alles in der Welt, ruft an einem gewöhnlichen Werktag so spät noch an. Absolute Unverschämtheit!

Der leitende Wissenschaftler der Rötlinge ist skeptisch. Für den großen Versuch mussten alle verfügbaren Energiereserven des Planeten zusammengeschaltet werden. Abgesehen von der Energie für die riesigen Public-Viewing-Hologramme überall, auf denen die gesamte Bevölkerung diesem sensationellen Versuch einer Kontaktaufnahme zu Aliens beiwohnen kann, steht dem Projekt jetzt alles zur Verfügung, was nur irgendwie an Energie aufzutreiben ist. Trotzdem befürchtet man, nur wenige Minuten Zeit für den Versuch zu haben, bis das Energienetz zusammenbricht. Der Computer für die Übersetzung der Rötling-Sprache in Menschenlaute ist bereit. „Kontakt!”

Heiko muss erst einmal die Luft in seinem Bauch los werden und rülpst laut. Dann greift er zum Telefon: „Weißt Du Idiot eigentlich, wie spät es ist?”
„Komnunikäyschnbitte-Rötlinge anto Menschlinge-Bitte Antworts-Komnunikäyschnbitte!”
„Willst Du mich verarschen, Du Hilfsassi?”
„Komnunikäyschnbitte! Bitte!”
„Einen arbeitenden Menschen um die Zeit mit so einem Scheiß zu belästigen! Wie alt bist Du eigentlich, müsstest Du nicht schon längst zu Bett sein? Ich hab’ keine Zeit für so ‘ne Kinderkacke!!!” Heiko legt auf.
Seine Frau ist wach geworden: „Wer war das, Schatz?”.
„Ach nur so ein Kinderstreich. Früher wär so was nicht passiert; nicht um die Zeit!”

Der leitende Rötling-Wissenschaftler des Projekts “Kontaktaufnahme Aliens” war zu seinem Vorgesetzten, dessen Name nicht in ein menschliches Idiom übersetzt werden kann, weil er eher dem Bereich der Musik entlehnt ist – frei übersetzt vielleicht Toccata -, bestellt worden. Jetzt steht Scherzo dem zornbebenden Chef ein halbes Jahr nach diesem desaströsen Versuch mit den Menschen gegenüber.
„Wissen Sie eigentlich, wie viele Linguisten eine kleine Ewigkeit daran gearbeitet haben, um herauszufinden, dass uns diese Menschen bei unserem Versuch einfach nur wüst und äußerst ungehörig beschimpft haben? Dafür hätten wir fast die Energieversorgung unseres Planeten ruiniert!” raunzt ihn Toccata an.
„Aber immerhin: sonst war technisch alles einwandfrei! Immerhin!” versucht Scherzo um Milde bei seinem Chef bemüht.
Der lässt sich nicht beruhigen. Ohne Widerworte zu akzeptieren verkündet er dem Projektleiter, dass seine „Experimente” endgültig auf Eis gelegt seien. Gott-sei-Dank wäre der Zorn der Bevölkerung halbwegs verebbt. Der Projektleiter Scherzo weiß, dass es lange dauern wird, bis er wieder mit dieser Geschichte bei seinem Chef aufkreuzen kann. Eines wird er sich jedoch merken: auf diese Menschlinge wird man ein Auge haben müssen! Die sind nicht ohne, vielleicht sogar potentiell gefährlich!

Heikos Frau ist jetzt endgültig wach und steht gähnend im Türrahmen.
„Schatz, wer war das?!”
Heiko ist jetzt klar, dass seine Frau nicht locker lassen wird.
„Schatz! Kinder schlafen längst um diese Zeit! Wer war das?”
Diese verdammte Eifersucht seiner Frau. Na gut: nicht immer war sie unbegründet, aber bis jetzt war immer alles glatt gegangen. Das mit dem Kinderstreich akzeptiert sie nicht, also muss eine andere Geschichte her, bevor sie ihm hier mitten in der Nacht wieder eine Riesen-Szene macht.
„Mausi, Du wirst es nicht glauben: -“
Bei seinen Weibergeschichten war Heiko immer etwas eingefallen, zum Glück hat er nie unter einem Mangel an Phantasie gelitten! Irgendetwas wird ihm schon einfallen, und wenn er ihr etwas von Marsmännchen erzählt!

Während sich Scherzo den Rüffel seines Chefs abholt, sitzt Heiko vor einem Automaten im Spielsalon. Neben ihm rechts auf der Ablage ein kaum angerührtes, mittlerweile schales Glas Bier und in einer Plastiktüte eine jetzt nur noch viertel volle Flasche Wodka, die er herein geschmuggelt hat. Seine Frau hat ihm die Geschichte damals nicht geglaubt und sich von ihm getrennt. Die Scheidung ist jetzt seit einiger Zeit schon so gut wie durch. Die schöne Limousine von einst musste er gegen einen klapprigen Gebrauchten eintauschen. Sein Job wackelt, weil er ständig zu spät kommt und auch sonst sein Pensum nicht schafft. Jetzt will er nicht „heim” in seine neue, menschenleere dreißig Quadratmeter Ein-Raum-Bruchbude. Der Guthaben-Zähler des Automaten steht schon wieder auf Null. Zögernd zählt er noch einmal fünf Euro in den Kasten. „Komnunikäyschnbitte” lallt er leise vor sich hin. „Was willst Du von mir?” droht ihm der kantige Leder-Typ mit Zopf am Automaten links nebenan.

Bildquelle: (c) DA

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