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Veteranen

Von Katharina Bock: wuchs gegenüber einer Nervenheilanstalt auf und betrieb bereits als Kind im elterlichen Café Seltsamkeitsforschung.

Im Sanatorium lernte ich Hans Schmitz kennen. Er hatte wie ich in Verdun gekämpft und lag schon über 6 Monate hier. Während ich mit einer verhältnismäßig leichten Gas-Vergiftung davon gekommen war, hatte es ihn wirklich schlimm erwischt: Beide Beine und die Hälfte des Gesichts waren weg.

Es war ein Wunder, dass er überhaupt noch am Leben war – ein wirklich zäher Bursche.

Aufgewachsen war er in den Bergen, wo ihn seine Eltern für wenig Geld an einen Ziegenhirten verkauft hatten.

Die Zeit bei dem Ziegenhirten muss eine schlimme Zeit gewesen sein, denn Hans hatte sich – um dort wegzukommen – bereits mit 16 für den Krieg gemeldet. Er hatte Papiere gefälscht und gelogen, was das Zeug hielt.

Selbst jetzt in seinem desolaten Zustand sagte er immer wieder, dass ihm das Leben im Sanatorium wie ein schöner Traum vorkäme; schon allein wegen der vielen hübschen jungen Frauen und der Sauberkeit.

Hans wollte die Welt sehen mit seinem ihm verbliebenen Auge. Im Sanatorium freundete er sich mit einem Legionär an, der ihn mit nach Afrika nahm.

Dort machte Hans, dank seiner Kenntnisse über die Haltung von Ziegen in unwirtlichen Gebieten, recht schnell Karriere im Landwirtschaftsministerium.

Der König von Benin höchstpersönlich ließ eine Sänfte für ihn anfertigen und schickte ihm seine beiden drittstärksten Männer, um ihn mit der Sänfte von Kral zu Kral zu tragen.

So wurde er mit der Zeit zum bekanntesten Mann in ganz Benin, was nicht nur an seinem Fachwissen lag, sondern auch ein wenig mit seinem Äußeren zu tun hatte.

Bei einigen Stämmen wurde es sogar Mode, die Hälfte des Gesichts weg zu schminken und sich auf Knien fortzubewegen.

Hans genoss sein Leben und machte den Frauen schöne Augen – bzw. ein schönes Auge. Dank der Sänfte und den beiden drittstärksten Männern hatte er immer wieder Erfolg bei den Stammestöchtern. Nur die richtige war noch nicht dabei gewesen.

Mittlerweile war Hans das 10. Jahr in Benin und die jüngste Tochter des Königs war zu einer jungen Frau heran gewachsen. M’Bane – so war ihr Name – war von klein auf von dem unvollständigen Weißen fasziniert gewesen. Als Hans wieder einmal im Königspalast zu Besuch war, schlich sie sich in Hans’ Zimmer und legte sich zu ihm ins Bett. Das Risiko war aus ihrer Sicht gering – er konnte ja nicht weglaufen.

Sie verstanden sich aber so gut, dass auch der König nicht anders konnte, als ihnen seinen Segen zu geben.

Neun Monate nach der Hochzeit, wurde das erste von vielen Kindern des glücklichen Paares geboren. Unerklärlicherweise ohne Beine. Doch damit nicht genug: Unglaublicherweise wurden noch 6 weitere von ihren ingesamt 10 Kindern ohne Beine geboren.

Da auch diese Kinder große Familien gründeten, in denen wiederum viele Kinder ohne Beine geboren wurden, ist der Beruf des Sänftenträgers der angesehenste und einträglichste Beruf in ganz Benin.

Bildquelle: (c) DA

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