Von Martin Peichl.
I. (Vorspiel)
Liebe,
zeitweise Gleichgültigkeit, Trotz.
Abende, an denen ich den Gedanken an dich
alleine schon hasse.
Aber komm,
komm endlich zu Ende,
ich habe mich darauf eingestellt.
Es wird nicht lange dauern,
wie der Abend.
Irgendwann versinken wir.
Wortlos klirren unsere Zeilen
in diesem Augenblick.
—
II.
Ein Vorhang geht auf, dahinter eine Bühne.
Dein Auftritt, du kommst kostümiert,
du kommst verkleidet als Kierkegaards „Entweder – Oder“,
die Taschenbuchausgabe.
Dein Kostüm flattert, deine Seiten flattern.
Ich will blättern in dir, Sätze unterstreichen,
mich aufschneiden an deinen Seiten.
Du zeigst mir deine ISBN-Nummer – ich werde geil,
will dich nehmen, dich aufschlagen,
will mein Lesezeichen hineinstecken in dich und…
Der Vorhang schließt sich. Du gehst ab.
Die fehlenden Regieanweisungen laden zur Improvisation ein.
Wir sind ein unsichtbares Theater.
Niemand sieht deine Sterbeszene,
niemand hört meinen Monolog unter deinem Balkon,
niemand klatscht, als du dich endlich…
—
III.
Szenenwechsel. Er im Badezimmer vor einem Spiegel.
Extremes Close-up.
Dialog mit seinem Spiegelbild:
„Wer ist der sexy Motherfucker?“
„Du bist der sexy Motherfucker!“
Noch einmal:
„Wer ist der sexy Motherfucker?“
„Du bist der sexy Motherfucker!“
In einem kurzen reflektierten Moment fällt ihm ein,
dass übermorgen Muttertag ist.
Die Kamera schwenkt Richtung Kalender, dann zurück zu ihm.
Sein Gesichtsausdruck: ideenlos,
in weiterer Folge: geschenklos.
Um sich ein wenig lebendiger zu fühlen,
dreht er das Badezimmer-Radio lauter.
Wir hören: „Sweet Child O‘ Mine“ von Guns N‘ Roses.
Um sich noch lebendiger zu fühlen,
schneidet er sich mit dem Rasierer ganz tief in die linke Wange,
kurz darauf ganz tief in die rechte Wange.
Die Bibel zitiert er dabei nicht.
Das Blut fließt beinahe symmetrisch,
tropft und verschwindet fast geräuschlos im Waschbecken.
—
IV.
Die Leinwand wird schwarz.
Auf dem Off hören wir eine Stimme, ihre Stimme:
Distanz gemessen in leeren Bierdosen,
wenn wir die leeren Dosen zusammendrücken,
sind wir uns näher,
sind wir fast am gleichen Ort.
Es bleiben die Probleme der einheitlichen Zeit
und der einheitlichen Handlung.
Griechische First World Problems würde er sagen,
aber er sagt heute nichts,
weil heute ist er nicht bei mir,
heute schnackselt er mit einer anderen.
—
V.
Nahaufnahme von ihm. Interview-Situation. Zu grelles Licht.
Schnackseln ist ihr Lieblingswort.
Schnackseln ist ein regelmäßiges Verb.
Beispielsatz: „Wir haben gestern geschnackselt.“
Wenn sie schnackseln sagt,
dann klingt ihre Stimme wie ein Hustenzuckerl,
Geschmacksrichtung: Wildkirsche.
Oder wie der Wörthersee, ca. 85 Meter tief.
„Du kannst mich nicht ständig schnackseln wie und wo du willst!“
ist ihr Lieblingssatz.
Schnackseln im Futur II:
„Wir werden geschnackselt haben.“
—
VI.
Introspektion:
Sie ist seine Muse,
aber sie will ihn nicht mehr küssen,
weil seine Lippen reißen sie auf,
so weit auf, dass sie dann nur mehr aus Zugluft besteht.
Sie spürt die anderen in seiner Blutbahn,
sie hört die anderen in seiner Sprache,
sie fühlt die anderen pochen in seinem Schritt,
sie spürt die anderen,
die anderen und ihre Hautschuppen in seiner Lunge.
—
VII.
Ein SMS-Verlauf:
Er: Trinkst du heute Bier?
Er (1 Min. später): Trinkst du heute Bier mit mir?
Sie (10 Min. später): Okay.
—
VIII. (Nachspiel)
Liebe,
zeitweise Geilheit, Verzweiflung.
Abende, an denen ich den Gedanken an deine Haut
alleine schon hasse.
Aber komm,
komm endlich zu Ende,
ich habe mich schon aufgegeben.
Es wird doch länger dauern
als einen Abend.
Irgendwann treiben wir.
Wortlos klirren unsere Zeilen
in diesen Augenblicken.
Wir werden nicht blinzeln.
Bildquelle: (c) Matthias Ledwinka