Flüchtig
Von Teresa Riemann.
I.
10.06.2017
Flüchtig.
Die Sonne stand tief.
Wir waren bereit fortzulaufen, uns die verlorenen Sekunden, Minuten, Stunden und Tage, Monate und Jahre zurückzuholen.
Kein Blick führt zurück wir(d) aber geworfen über die linke Schulter flüchtig wird er darin liegt alles dort ist alles hineingeworfen worden, endlose Fragereien, nervenaufreibende Verständnissuchen, Bedauern aber worüber und schon war es das, hüpfenden Schrittes taumeln sie die Böschung hoch, ein bisschen Eile wird darin auch sichtbar, ein bisschen Eile aber derer nicht zu viel.
Für alles andere wäre es sowieso zu spät.
Sie rennen schweigend bis sie den Waldrand erreichen, ab und an von anfallartigem Lachen geschüttelt.
Erst dort wo sie Kronen voller Laub vor neugieriegen Blicken verschonen und die Tiere den Wald in sanftes Murmeln tauchen sehen sie sich das erste Mal an.
Es war vielleicht einfach aber so einfach war das.
Sorgsam hatten sie Hinweise gesammelt ihr ganzes Leben lang, Hinweise um ihren Ausbruch vorzubereiten.
Die Vergangenheit lag ausgebreitet vor ihnen auf dem Boden, würde noch genauer ausgebreitet werden im Verlauf der nächsten Tage und Wochen, war aber der nur zu gut bekannte Teppich im elterlichen Wohnzimmer, das Koordinatensystem in dem sich hre Träume aufspannten, ausfgespannt hatten, aufgespießt hatten, eingeklemmt hatten.
Jeder Haken saß tief im Fleisch, derer hunderter im Laufe des nicht allzulangen Lebens angesammelt, zerrte, in unterschiedliche Richtungen, das spätrömische Spektakel der öffentlichen Vierteilungen erschienen unter diesem Aspekt nicht mehr weiter verwunderlich, zuzusehen dass mit anderen vollzogen wird, was uns selbst geschieht, scheint uns irgendwie zu beruhigen, zumindest doch unser Vergessen zu beflügeln, den Abstand zu vergrößern, zwischen uns und unseren Schmerzen, die Distanz wachsen zu lassen zwischen Erlebtem und Gefühltem, Grenzen zu ziehen mit Nato Stacheldraht zwischen Außen und Innen, den Anderen und uns, dem Gesprochenem und dem Gedachten, dem Bewussten und dem Unbewussten. (das unbewusste als natürlich angenommen = krank?)
Alles ein Abbild der Wirklichkeit, noch das kleinste Zerrbild der Versuch die physische (/ belebte) Welt umzugestalten, wahrhaft dingfest zu machen, festzulegen, fassbar zu machen, zu beschränken, einzubetonieren.
Der Fremde in mir, der Fremde in Dir das bin nicht ich, soll aber ich werden, wir tauschen Plätze, kein Problem, das ist für alle besser so, für alle ist das besser so.
Wir verwechseln uns wie das Innen mit dem Außen halten das Gemachte für real und das reale für ausgedacht, es gibt hier keinen Platz zum Leben aber genau hier sind wir geboren, nichts ist daran merkwürdig, die Geschichtsbücher beweisen es.
Fernab von Gestern trennt sich der Verstand ab, wir trennen die Gedanken von den Wänden, die sie gestern noch bevölkert haben, trennen endlich Löcher in die efeuüberwucherten Gemäuer.
Ruinen sind wir, Ruinen unserer selbst, aber das hat jetzt ein Ende.
Läufst Du mit mir fort Wir sind die Wirklichkeit Ich laufe mit Dir fort ich glaube an nichts aber an Dich Lass uns gehen.
Alles würde einstürzen wenn man die richtigen Konsequenzen gezogen hatte, die Stahlseile an den rechten Stellen durchgesägt hatte und das stählerne Grundgerüst entfernt hätte.
Die Grundbedingungen allen Lebens ist es frei zu sein.
II.
Wir bewegen uns stolpernd fort, zuweilen strauchelnd aber das macht nichts, dieses sind meine Beine und ich bewege sie auf kriechend über den Boden, mein Körper auf allen vieren ins Gras geduckt von irgendwo fallen Schüsse die krachen laut aber im verschwommenen Sonnenlicht ist das Mündungsfeuer nicht auszumachen ich bin es nicht der schießt bin es nicht mehr bin es nie mehr.
Ein Schuss ist schnell abgefeuert, Ziele gibt es mehr als genug, alles was nicht ins Bild passt wird ausradiert, einmal der Abzug durchgedrückt, der befreiende Schuss halt über die Lichtung, verscheucht die Tiere und stapelt die Leichen, stapelt zerbrochene Wünsche, Zerrbilder ihrer Besitzer, schließlich abgeschaffter Träumereien, verunmöglichter Gedankenspiele, scherbenweise Lebenshaufen.
In deiner Umarmung liegt der Tod kannst Du ihn nicht sehen, er sieht mich aus Deinen Augen an und hat so wenig Fragen Dir noch zu stellen wie ich, du liegst offen auf dem Obduktionstisch bist aber kein besonders spannender Fall, hast alles schon prämortal selbst erledigt, aus dir ist nichts mehr herauszuholen.
Die Welt des Benutzens und Benutzwerdens haben wir hinter uns gelassen, und mit ihr die ganze Bücher fallende / füllende Liebe, den messianischen Heilsgedanken, die Idee sich im Verfall verlieben zu können, die eigenen verstümmelten Körper nur eng genug an sich pressen zu müssen um darüber zu vergessen, um in der inzestuösen Verbindung die eigene durchlöchertheit, die eigene Verrenktheit, die eigene Gebrochenheit zu vergessen im anderen die eigenen Fehler zu finden und zu verachten, sei mein Schlächter und heil meine Wunden, schlag täglich neue auf dass ich die alten vergesse, schreib mir die Normalität in die Gehirnwindungen und tret mir die Augen ein wie die Türen meiner Kindheit alles ist im Keller das ganze Haus ein sorgsam eingerichtetes Versteck nein ich habe keine Angst sie liegt da unten in Ketten und sie schreit die ganze Nacht lang hörst Du das nicht sie hört überhaupt nie auf zu schreien meine Ohren sind längst taub geworden anders wäre das auch nicht zu ertragen.
Das Schweigen (CHAPTER 1) hat uns überfallen bei Anbruch der Nacht aus Bequemlichkeit oder aus Angst oder aus bloßer / (purer) Abwesenheit.
Die Stille schneidet große Stücke in die Charaktermasken, friert offen gebliebene Druchbrüche im eisbedecktem See schnell zu, die Sonnenstrahlen sind noch auf der Haut fühlbar nur alles was darunter liegt ist abgetrennt, unfühlbar geworden, vergessen, abgestorben, nur noch als lebenswichtige Funktionen erhaltender Organismus denkbar geblieben. Die Angst atmet in meiner Brust sie atmet sekündlich mit und verkürzt meine Lebenszeit (auf ein Mindestmaß) der Fluss ist begradigt und führt genug Salz um eine jede Wunde zu desinfizieren, wir sind nichts mehr als desinfizierte Wunden die sich in die leeren Augenhöhlen starren, aus klinischer Sicht betrachtet bezahlen wir unser ebenso klinisches Dasein mit grenzenloser Sterilität, Daten in einem Koordinatensystem sind wir, frei bewegliche Punkte die auf einem X- und einem Y-Wert festgelegt wurden durch äußerst komplexe Berechnungen und Jahrhunderte voller Ahnenforschungen, dass die Gewinner die Geschichte schreiben ist längst zum Allgemeinplatz geworden nur was das ist ein Gewinner, was es zu gewinnen gibt und wie das anzustellen wäre / (ist) darüber spricht keiner, sprechen ist Schweigen ist an die Wand geworfene Stille (projiziert) ist Dankbarkeit ist Unterwerfung ist älter werden ohne zu wachsen ist alles was wir kennen und wir kennen nichts ich will grenzenlos unbekannt sein ein Fremder ein Undefinierter ein Grenzenloser ein Rätselhafter ein Nicht-Dingfestgemachter ein freibewegliches Wildtier durchtränkt von Gedanken und bis oben hin voll mit der Liebe zum Dasein die Existenz erfüllt mich mit liebevollen Fragen die Analyse ist ein Operationsinstrument ich werfe mich auf den Waldboden der riecht so schön modrig alles lebt und nichts wirft sich in quadratische Formen versucht sich zur Schau zu stellen anzupreisen einen Wert zu verleihen einen Wert abzuringen, ich bin völlig wertlos und nur darin frei.
III.
Zeit und ihr davon völlig unabhängiges Erleben
Im Verlauf des Lebens im Verlauf eines jeden Lebens die Trugschlüsse verstellen meterdick die Wirklichkeit nach der keiner wirklich keiner mehr fragt
Im Verlauf eines Lebens eines jeden Lebens also verkürzt sich die erlebte also die gefühlte Zeit exponential ansteigend im Verhältnis zum bereits erlebten, die Erinnerungsdichte verdichtet nicht das Erleben sondern fragmentiert es oder defragmentiert es aber nach welchem Bild geschieht es
werden bloß Leerstellen in längst erstellten Erinnerungsspuren die gleichzeitig Zukunftsbilder Ewigkeitsbilder Jetztbilder sind gefüllt, ausgefüllt, zu Ende gezeichnet, eingefügt, jede Neuigkeit, jede Echtheit, jeder Moment, ein in der Mauer fehlender Stein, ein von allen Seiten bereits vor seiner Geburt umringtes Wirklichkeitsfragment.
Jetzt eingeklemmt zwischen Gestern und Morgen immer eingeklemmt zwischen Gestern und Morgen immer jetzt.
Die Angst dass das Morgen nicht das Gestern wird das Gestern wiederholt genauer genommen, denn das Gestern wird es sowieso im Nachhinein aber genauer genommen auch im Vorhinein eben durch diese Angst genau durch diese Angst
die Vernichtung [des Jetzt] wird in den eigenen Händen verwirklicht / (durchgeführt)
Jeder Augenblick ein haltlos vollgestellter Dachboden staubbedeckt schon bevor das Ich eine Chance wahrgenommen hatte sich hineinzuwerfen, sich in den Strudel der Zeit hineinzuwerfen nackt in den Flammen zu verbrennen ein gebranntes Kind ist ein verlorenes und es will nur eines: sich nie wiederfinden.
Wir verlieren uns mit Plan verlieren uns sekündlich drängen uns von uns fort versuchen uns in den dunkelsten Ecken zu verstecken
teilen uns in paketgroße Stücke und verschicken uns an sterbende Verwandte aber das ist ganz gefahrlos die können nämlich überhaupt nicht lesen und in uns schon gar nicht. Ein Lächeln ist ein Sprung über den Abgrund der Fokus der Fokus das ist das Zentrum die Zentrifugalkraft wirkt beständig im Selbst erstellten Sonnensystem wir sind anegblich Ich-zentriert sind aber wesentlich nur eines nämlich ex-zentriert im Zentrum ein schwarzes Loch das alles Leben frisst
Sich waschend sich auswaschend sich wegwaschend sich wegwischend sich säubernd sich zur Sauberkeit erziehen sich sich nicht
sich sich selbst überlassen
ein Selbst zimmern aus abgenützen Planken die jeden Angriff Einbruch Ausbruch spurlos standhalten werden unbeschädigt überstehen werden
[Writing letters to myself … I’ve been writing letters to myself since centuries I receive them but they are written in a foreign language / a handwriting I don’t suceed to decode the day I start to understand the day I left… […] writing love letters in the sand infinity it will take it all it will take it all from me my dead body will be washed upon the shore I got nothing else to say I am I have been I have been spoken
They have been carrying me but it was only my emptiness they layed in the bed with and basked in it and forgot themselves inside my (lifeless / infinite) arms]
Bildquelle: (c) DA