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Zur Holzfaserpuppe

Von Fabian Lutz.

Eines Tages wurde es für die hässliche Holzfaserpuppe wichtig zu sterben. Es benötigte schließlich nicht viel Zeit unter den Menschen, damit sie erkennen konnte, wie widersinnig sie war. Sie fügte sich keiner Ordnung, war ständig unangenehm und wurde folglich weitgehend gemieden. Der Seelenschmerz war lange und zehrend, aber interessanterweise nie ausschlaggebend gewesen, dank gelegentlicher Kontakte hielt er sich doch stets zurück. Ja, in den besten Momenten war es der Puppe möglich, nette Gespräche zu führen. Und siehe: Dies war ein geeigneter Ort, um die Saat der Hoffnung zu legen. Daraus konnte sich aber nichts entwickeln. Naiverweise erkannte dies die Puppe jedoch erst, als sich ihre Kontakte schon zurückgezogen hatten, dabei war doch schon vorher gut erkennbar gewesen, dass keiner ihrer Gesprächspartner wirklich Interesse hatte. Immer hatten sich die Gespräche um andere Dinge entwickelt, die Puppe selbst war mit ihren Ausführungen stets langweilig und abschreckend gewesen. Gerade in größeren Gruppen wurde dies deutlich. War es dem Gesprächspartner möglich, sich innerhalb einer Formation von der Puppe zu trennen, machte er davon möglichst rasch Gebrauch. Innerhalb einer direkten Kommunikation mit der Puppe war es natürlich schwieriger, rasch zu verschwinden. So versuchten viele noch, den Wert der Höflichkeit zu wahren, ehe sie nach einem Ausweg suchten. War dieser gefunden, bemerkte schließlich auch die Puppe, dass die eigentlichen Kontakte niemals echte Kontakte gewesen waren.

Nie verstand die Puppe, wie sich Freundschaften entwickelten. Es war ein Phänomen des Außen, eine Irritation, der Wärme und Zusammenhalt folgten. Manchmal stand sie für kurze Zeit am Ende dieser Reaktion und konnte genießen, ehe sie dann wieder verworfen wurde. Ihr Stigma brannte sich tief in alle Geflechte, deren Ursprung sie war. Keiner wollte ein solches Geflecht mit sich herumtragen. Es wurde bald einfach zu schwer. Keiner hatte den Willen und die Kraft, der Hässlichkeit ein stetes Heim zu bieten. Wut und Zorn waren derer doch ein weitaus besserer Nährboden. So versuchten einige gezielt, die Puppe einzuschüchtern und mit ihrer Unsicherheit zu spielen. Wie seltsam, wie sonderbar, wie hässlich sie doch war. Das ging jedoch auch bald zurück und das Einzige was blieb, war Zurückhaltung. Man ignorierte diese Gestalt lieber als ihr Freiräume zu bieten. Man hatte wahrlich Angst, sich anzustecken. Man betrachtete die Puppe als unhygienisch und auch daher als hässlich. Man wusste ja nicht, was sie zwischen ihren Gliedern besaß. Die Vorstellung, dass ein solches Wesen kopulieren konnte, ließ manche erbrechen.

Intellektuell war die Puppe aufs Äußerste verkommen. Zwar war es ihr möglich, komplexe Gedanken zu formen, begreifen konnte sie diese aber nicht. So war sie den einen zu gebildet und den anderen zu dumm. Keiner wagte es, sich diesem Konstrukt ernsthaft zu nähern. Dessen Unnatürlichkeit stieß sie alle ab. Zwar gab es einige, die auf sachliche Weise feststellten, dass die Puppe durchaus originellen Wert besaß, jedoch wäre keiner von ihnen auf die Idee gekommen, auch nach einem emotionalen zu sehen. Kurz waren manche erstaunt von den Erfahrungen und Ideen, die die Puppe mitbrachte, verwarfen ihr Erstaunen jedoch bald, da sie merkten, dass zu viel Erstaunen in Interesse, dieses wiederum in Wohlgefallen und dieses wiederum in Zuneigung umschlagen könnte. Und die Angst davor, Zuneigung zu einer solch infektiösen Erscheinung zu entwickeln, trieb schließlich all das Interesse zurück. Die Puppe war daraufhin wieder einsam. Dabei wurde ihr auch klar, dass ihre Isolation ganz natürlich war. Man vergaß schreckliche Vorkommnisse einfach mit der Zeit oder versuchte, sie zumindest zu verdrängen.

Wichtig ist durchaus zu erwähnen, dass die Puppe Bedürfnisse hatte. Sie sehnte sich nach Nähe und Halt. Nähe und Halt konnten sich aber nur entwickeln, wenn sie konstant gegeben waren. Und da sie im Falle der Puppe niemals gegeben waren, konnte die Puppe auch niemals über längere Zeit glücklich sein. Immer wieder fiel ihr auf, wie ungeliebt sie doch war. Ihre Illusionen über eine bessere Zukunft wurden im Gegenzug raumfüllend und sie begann, einen isolierten, wunderbaren Alltag zu leben. In diesem war sie glücklich und sah sich auch als glücklichen Akteur. Zum ersten Mal erkannte sie den Wert eines Menschen, ihre Rolle als Mensch. Sie erkannte, dass sie Dinge besaß, die auch andere Menschen besaßen, für die andere Menschen auch geliebt wurden. Doch obwohl sie gewissermaßen, rein biologisch, auch Mensch war, fehlten ihr einige essentielle Dinge ohne die solch vorteilhafte Züge niemals wirksam werden konnten. Wenn sie noch in ihren Utopien auf diese Erkenntnis stieß, musste sie angesichts der Misere weinen – was sie konnte. Sie erkannte, dass ein Fortkommen niemals möglich war.

Wenigstens besaß die Puppe materiell manche Möglichkeit. Das hielt sie davon ab zu betteln und sich damit zu konfrontieren, dass sie dann vollständig auf sich allein gestellt sein würde. Man kann also behaupten, dass das Finanzielle das wirklich einzige Kapital dieses widersinnigen Wesens war. Soweit ist die Lage der Puppe ohne Umschweife treffend charakterisiert. Die Konsequenz aus einem solchen Leben ist leicht zu ziehen: Entweder man stellt sich der Anstrengung zu widerstehen oder man zerstört sich. Die Puppe entschied sich mit gutem Grund für letzteres.

Der Puppe war nüchtern mitgeteilt worden, dass sie sich trotz ihrer Holzfaserstruktur zerfleischen lassen könne. Es gäbe einige Menschen mit Lebenswillen, die Freude daran hatten, andere, minderwertigere, zu zersetzen und dann leiden zu sehen. Erst die korrekte Verstümmelung brachte das zum Vorschein, was eigentlich überall war: Den Kern der Hässlichkeit. Die Puppe solle sich einfach des Nachts auf einem größeren Platz der Stadt einfinden und dort ein Weilchen bleiben. Ihre Hässlichkeit werde schon die entsprechenden Menschen aufmerksam machen. Polizeilich gesehen werde es keine Einschreitungen geben, da von den Behörden angenommen werde, dass Menschen, die sich zu solch einer Uhrzeit an einem solchen Ort einfänden, mit Sicherheit sterben wollten. Und das Recht auf einen Tod sei ja keinem abzusprechen. Kurz wurde der Puppe also bewusst, dass sie als Teil der Gesellschaft erachtet wurde und somit Rechte besaß.

Die Puppe wurde also vernichtet. Das Prozedere sei dem Wesen der Puppe zuliebe hier kurz skizziert. Die Puppe war mit ihrem eigentlich schmalen, durch die Gesichtszüge doch klobig verstellten Gesicht wirklich hässlich und zog schnell die Aufmerksamkeit der nahen Gangs auf sich. Eine hatte einen langen, schmalgliedrigen Arzt bei sich, der sicher auch hässlich war, jedoch Kompetenzen besaß.

Die Taktik einer mordenden Gang wie dieser ist in ihrer Struktur leicht zu erkennen und lässt sich daher sehr einfach skizzieren:

  1. Einschüchterung. Dem Opfer wird die eigene Hässlichkeit verbal vor Augen geführt. Teils wird begleitend ein Spiegel verwendet. Oft wissen die Gangs schon um den schlechten Ruf ihres Opfers und können demnach sofort darüber spotten. Die Bestätigung dessen, was das Opfer bereits befürchtete, wird Unsicherheit und Spekulation beenden und Gewissheit bringen.
  2. Erste Schläge. Gewalt wird angewandt. Teils in Begleitung beleidigender Worte.
  3. Zerfleischung und Mord.

Die Holzfaserpuppe wurde hingerichtet und am nahen Baum aufgeknüpft. Einige Passanten bestaunten die neuartige Konstruktion noch, auffallend war ja gerade, dass die Puppe nun weniger hässlich aussah. Man hatte ihr Leber und Milz entrissen, dann das Herz mit scharfkantigen Dosenresten zerstochen und zertreten. Das Blut war weitflächig um den Baum vergossen worden, teils mit Urin vermengt. Der dürre Körper der Puppe war zerteilt und zerfleddert, die Knochen teils sorgsam einzeln zerstoßen. Nur das Gesicht war geblieben. Lediglich ein Auge fehlte. Irgendwo nahe einem bekannten und beliebten Modegeschäft wurde es später gefunden.

Bildquelle: (c) DA

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