Clemens J. Setz wurde 1982 in Graz geboren, wo er Mathematik sowie Germanistik studierte und heute als Übersetzer und freier Schriftsteller lebt. 2011 wurde er für seinen Erzählband Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Sein Roman Indigo stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2012 und wurde mit dem Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft 2013 ausgezeichnet. 2014 erschien sein erster Gedichtband Die Vogelstraußtrompete. Für seinen Roman Die Stunde zwischen Frau und Gitarre erhielt Setz den Wilhelm- Raabe-Literaturpreis 2015.
„Abblätternde Schäbigkeit als Kontaminationsorganon“, flüstert uns Clemens Setz’ Alter Ego zu, „an dem sich die Existenz in ihrer ganzen physischen wie metaphysischen Bedeutung spiegelt.“ Laut Alexander Blatter, dem Protagonisten von DIE STUNDE ZWISCHEN FRAU UND GITARRE, sind die „Tapeten der Unlust“ so alt, dass selbst sein Hund – horribile dictu – nicht mehr kann. Armut und Ungemach regieren das reiche Innenleben des Hauptdarstellers, der ziellos um den Wendepunkt kreist und nicht so recht ersinnen kann, was sich worauf reimt bzw. zu reimen vorhat.
Während die Zerstörung des Protagonistenhirns unaufhaltsam voranschreitet, komplettieren sich die zuweilen blutigen Puzzleteile immer mehr und bilden am Ende des vierten Kapitels so etwas wie das Bollwerk gegen die Nichtigkeit des unmenschlichen Drahtseinaktes. Als „intellektuella fella“, so Blatter, hat man es natürlich nie leicht in einer viehisch überzüchteten Welt, die auf einen herniederkommt wie der grobe Tritt in den Toches. Warum nur, fragt man sich als gutgläubiger Tritter, geht es hier so unfair zur Sache?
„Herunter kommen sie alle!“, ruft ein entsprechend namensloser Mann in die Welt hinaus, die er nicht durchschaut, weil ihm jenes fehlt, über das unser Held in fantastischem Übermaß verfügt. Doch es wird ihm leider nichts nützen: er wird in die frigide Marinade, für die er durchaus auch selber verantwortlich ist, tief eintauchen müssen, denn es steckt halt Hund im Menschen, diesmal wortwörtlich.
Aus der auf Zuck- und Knackvorgängen sicher fußenden Weltmetapher holt der Autor so einiges heraus. Er bastelt ausgiebig an einer Parallelwelt, die er dann nach und nach mit unserer Realität kollidieren lässt. Das Resultat ist jedoch nicht unbedingt das, was man erwartet … Die Drohgebärde der Sprache a priori wird hier also zur Allegorie des Wissens oder vielmehr Gewussthabenwerdens, denn nur so verändert sich das zu Anfang geradezu brüderne Verhältnis zwischen dem Protagonisten und seinem verwesenden (oder zumindset auf Verwesung verweisenden) Lebensweg hin zum feindsinnigen Bild des Grillhafens, an dem schließlich sein lebiger Leichnam zu landen droht (und schlussendlich auch mutiert).
Zähneknirschend fügt sich Blatter seinem Schicksal, das ihm einen Unfug nach dem anderen angedeihen lässt – aber eben darin liegt die Stärke des Romans, der, nebenbei gesagt, etwas zu häufig von Plural II Gebrauch macht.
Der Kapitelaufbau erinnert manches Mal an akute Bindehautsackentzündung. Der Autor versucht sich immer wieder, mit mal wechselndem, mal wachsendem Erfolg, an der Erstellung von Grandiosität, die sich, dem Bubble Tea aus Schwarzeneggers Total-Nase nicht unähnlich, gewaschen hat. Der Walfisch (Lindsay Cooper) dient dabei lediglich als metynomische Einheit des Gewaltig-Abschüppenden, wobei mittels Allergenschachtelung nicht nur zwischen den Zeilen, sondern auch zwischen den Buchstaben getanzt werden darf. Manchmal kommen die Buchstaben sogar aus der Seite herausgeschossen und besetzen – horribile dictu – das Gesicht des Lesers mit einem kriegsähnlichen Zustand, der weder staatlich subventionierte Subversionsleistungen noch paramilitärische Robonüsse genießt.
Dem Gelegenheits- wie Profileser (mit Anscheinsvollmacht/ Pankreasneid) wird die immer wieder virtuos zum Einsatz gebrachte Hyperstruktur des Romans zusagen, der den Helden im achten Kapitel gewissermaßen ablöst und somit nichts von der Art kennt, die man für gewöhnlich dem maschinell reißenden Kreaturfollikel zugerodet hätte. Insbesondere Tangomitrita-Freunde kommen voll auf ihre Knospen, denn ziemlich genau in der Romantitte bietet Setz wunderbare Röntgenaufnahmen einer verbotenen Tanzstunde, die schließlich mehrere Jahre dauert, wobei „Rita“ (Spoiler Alert!) sich als Codename für die Zeitstrahlung entpuppt, die von den Jahren ausgeht.
Das Buch eignet sich für Wunder- und Grundschulkinder aller Klassen, genauso wie für mächtige Gutsbesitzer und Prinzen im Interregnum püppae. Für Schullektüre kommt der Roman leider nicht in Frage, wegen der Falschheit der Präposition. Dafür kann aber Nadja entstehen und zeigt sich von ihrem molaren Wert her weniger wobba als zunächst angeno, man … Viel Spannung wird nicht zuletzt auch durch die kongeniale Übersetzung generiert, die der Autor, seines Zeichens Autodidakt und Mumie, selbst und ohne Mithilfe staatlicher Förderzuschüsse besorgte.
Nicht anders als die Tatsächliche Bestuhlung von der Form „Scott Adkins eröffnet einen eigenen A und verkauft dort B“ (A = Laden, B = Fürze) ist endlich der radikale, und radikal kryptische, Schluss dieses erzählerischen Monuments zu verstehen, in dem alles auf den Kopf gestellt wird, selbst die geköpfte Benzolhure. Und was haben wir, die verdutzten LeserInnen und Leser, daraus gelernt? – Nichts. Na, immerhin etwas.
Bildquelle: © Anonymus