Von Tania Rupel.
Im Raum sind viele Menschen. Ich erkenne nur wenige. Neben mir steht ein älterer Mann. Plötzlich flüstert er mir etwas ins Ohr. Ich spüre eine warme innere Welle und laufe rot. Dann lacht der Mann laut. Er lacht und lacht, mit solch klarer Stimme, so mitreißend, dass ich auch lachen muss. Ich lache und zittere. Verliere die Kontrolle über mich. Bin so durcheinander und vor so vielen Menschen, mich kann aber nichts beruhigen.
Der Mann dreht sein Gesicht zu mir. Trotzdem sehe ich seine Augen nicht wirklich. Er hat drei Münder. Vorne einen und zwei auf den Backen. Ich laufe lila. Meine innere Farbe ändert sich ständig. Mir ist gleichzeitig kalt, heiß und peinlich. Die Münder zerreißen sich vor Lachen. In meinen Ohren hallen die Laute. Bin gelb, orange, erdig. Jetzt erst merke ich, der Raum ist wie ein Amphitheater. Jemand zieht den Himmel nach unten. Gleich sehen wir etwas auf dieser Leinwand. Eine weibliche Stimme sagt: „Das ist nicht gut. Hier sind viel zu viele Frauen und nur ein paar Männer…“ Ich bin überrascht. Zähle schnell und bin nicht einverstanden, trotzdem sage ich nichts. Mein Mund lacht weiter willenlos. Die Vokale des fremden Lachens dringen in mich, stoßen an meine Festung und machen sie schnell dem Boden gleich. Mir ist schwindelig. Ich weiß, ohne meine Mauer bin fast durchsichtig und versuche mich mit einem Schall zu decken.
Meine innere Stimme schreit: „Das ist nicht wahr! Hier sind eigentlich nur sieben Frauen, die anderen sind alle Männer…Aber wen interessiert das? Wozu das alles?…“ Ich schreie innerlich und lache äußerlich, werde wieder farbig. Der Mann neben mir beherrscht mich irgendwie. Ich schaue ihn heimlich an und denke: “Ach, ich kenne ihn! Woher kenne ich ihn? Wer ist das? Wer!?“
Er guckt mich so an, als ob er meinen Fragen im Kopf lauscht, ich sehe seine kleine Augen – sehr lebendig, sogar sympathisch. „Wer war das denn! Woher kenne ich …den Idioten?“ Sein Gesicht spannt sich plötzlich und wird böse. Ich – nuanciert. Dann höre ich deutlich jene Stimme: „Die Männer sind nicht da, weil sie im Krieg gefallen sind. Nun sehen wir im Film, was passiert ist“… Alle drehen sich nach vorn, es ist still. „Welcher Krieg?!“
Auf der Sternleinwand des Himmels zeigen sich schwarzweiße Bilder. Zwischen leuchtenden Objekten sehe ich Silhouetten. Dann flüstert mir wieder der Mann ins Ohr. Eine schwangere Sprache sehe ich vor mir. In ihrem Bauch viele kleine Worte in feine Häute gewickelt. Sie erzählen mir ein fast vergessenes Märchen. Die Stimmchen leise, aber alle sprechen gleichzeitig. Pures Chaos. Der Mann lacht und lacht. Das ist kein lustiges Lachen. Er verspottet niemanden, er amüsiert sich nicht. Er lacht wie einer, der angesteckt ist, mit etwas Schmerzhaftem und Unheilbarem. Ich habe Krämpfe. Sein Gesicht verrät – er hat Macht, aber nicht die ganze.
Mein Gott, ich hab es wirklich vergessen. Als ob es von einem anderen Leben kommt. Nur die tiefsten Pfade in meinen Ohren haben das Märchen sofort erkannt, nur die untersten Schichten meiner Haut. Jede Wurzel von Zahn und Haar spannte sich sofort an und stand wach.
Mir ist jetzt einfach kalt. Ich erinnere mich nicht ganz, ich ahne, wie die Geschichte zu Ende geht. Jetzt weiß ich auch, wer der Mann ist. Vor vielen, vielen Jahren hat mich er immer zu sich gelockt. Sein Zeigefinger konnte sich so drehen, krümmen und aufwickeln, als ob er elastisch sei, und hat mich zu sich gezogen. Dann machte er ein frommes Gesicht. Seine Blicke aber ließen in mir Strom fließen. Ich war immer so nervös und neugierig, dass ich in der Nase einen Geruch von gebranntem Fell irgendeines unruhigen Tierchens hatte. Ich weiß noch, wie die Eltern von Freunden mir sagten: „Lauf weg, hör ihm nicht zu.“ Ich war wie versteinert. Seine Worte fielen in mich wie große, ungewöhnliche Steine. Mein Boden wurde zu einem Mosaik. Alle Geschichten, die er mir erzählte, sind da unten geblieben. Er konnte so mit den Steinen spielen, ein Jongleur. „Teufel“ – schrien die Eltern. Und die Steine sanken tiefer und tiefer…
„Wovon träumst du?“ – fragte er einmal. Ich weiß nicht mehr, was ich geantwortet habe. Ich wollte es nicht vor ihm zugeben. Mir ging nur durch den Kopf: Ich möchte diese Magie beherrschen. Auch so mit den Steinen spielen, etwas Unglaubliches erschaffen, dann es zerstören und ganz anders anfangen. Ich will ungesehene Städte bauen. Groß und klein, die für immer, wie ein Gedicht, im Gedächtnis bleiben … Schnell kam seine nächste Frage: „Und was würdest du dafür opfern? Man muss immer was für seine Träume opfern.“
Dann ließ er einen Stein auf seinen großen Zeh fallen. Ich hab die rote Farbe gesehen und sagte: „Ich dachte, du bist Magier. Aber du bist auch nur aus Fleisch und Blut …“ Und er fing an so zu lachen, so zu lachen!… So unbändigtraurig, wie gerade jetzt.
Bildquelle: (c) Graf Steffi