Novelle

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Ganamo

Von Cornelia Arbaoui.

Das Universum mit seinen unendlichen Weiten und endlosen Fernen

Wie eine Meereswoge rauschte sie durch das Weltall und war nicht aufzuhalten. Die dunkle Energie. Sie glitt durch alle Materie hindurch, ohne eine Spur zu hinterlassen und wenn diese Macht aus unendlichen Fernen vorübergezogen war, hinterließ sie nichts anderes als das Böse. Eine dämonische Kraft, die mit einfachen Worten nicht zu beschreiben war und für den grössten Teil der Menschheit auch völlig unsichtbar.

Ganamo, ein einsam gelegener Ort in der Antarktis

Selbst die Erde blieb von ihrem Einfluss nicht verschont und nach ihrem Zusammenprallen mit den Menschen, war nichts mehr wie zuvor. Die Zerstörung hatte begonnen und der Hass, der Neid, die Eifersucht und die Gier nahmen derart überhand, dass nur noch das heillose Durcheinander regierte und das unübersichtliche Chaos allgegenwärtig sichtbar wurde.

Nur ein kleines Volk im hohen Norden, dass wie vor Jahrhunderten vom Fischfang lebte und sich seine kleinen Iglus im ewigen Schnee und Eis baute, blieb wie durch ein Wunder von dem mörderischen Treiben verschont. Die Liebe, der Frieden und die Freude machten sich in den eigenen Reihen breit und es schien als herrsche nirgendwo Leid, als gäbe es keine Sorgen und auch keine Angst vor dem Tod. Überall sah man ein freundliches Lächeln auf den Gesichtern der Menschen und eine wohltuende Ruhe strahlte das Anwesen dieser einfachen Gemeinde aus, die sich als Abkömmlinge der Nebelvölker bezeichnete. Einem Stamm, der im Verborgenen lebte und mit den Göttern in Verbindung stand.

München im Süden von Deutschland

Lisa schaltete den Fernsehen an, um sich die Nachrichten anzusehen. Als Krankenschwester hatte sie einen anstrengendes Wochenende in der Klinik hinter sich gebracht und nun streckte sie sichtlich erleichtert die Füße vor sich aus und genoss einen heißen Tee in zierlichen Tassen. Auf der Welt gab es nichts Neues. Attentate von terroristischen Untergrundorganisationen, Klimawandel mit unübersehbaren Folgen, Kriege vor allem in den islamischen Staaten, die Unkontrollierbarkeit von illegalem Handel mit Drogen und Waffen, Flüchtlingselend rund um den Globus und eine erschreckende Armut in der Bevölkerung, deren Elendshütten fast Tür an Tür zusammenstießen mit den Prachtbauten der unermesslichen Reichen und vom Luxus verwöhnten obersten Zehntausend. Konferenzen über Konferenzen wurden einberufen, um den Stand der Dinge zu erklären und Politiker aller Couleur flogen um die halbe Welt, um die Massen immer wieder mit den gleichen Worten zu beruhigen, „es wurden wichtige Beschlüsse gefasst und in den kommenden Monaten sollen sie auch in Kraft treten. Vor allem sollen auch mehr Gelder vom staatlichen Budget zur Verfügung gestellt werden, um zu mindestens die Folgeerscheinungen gravierender Probleme zu beheben.“ Die wirklichen Ursachen für fehlgeleitete Projekte und unkontrollierbar gewordene Entwicklungen in der Gesellschaft interessierten niemanden mehr. Schon lange zuvor hatte ein ungleicher Wettlauf mit der Zeit begonnen, und sie erschien als ein Gegner, der immer wieder in einem anderen Erscheinungsbild auftrat und von allen Seiten her gleichzeitig einschlug. Es schien, als laufe man permanent gegen eine unsichtbare Wand an, ohne einen Ausweg aus einer schier aussichtslos gewordenen Lage zu finden.

Lisa schaltete den Monitor aus und trat mit erhitztem Gesicht an das offene Fenster heran, um sich ein wenig abzukühlen und die schöne Sternenwelt in dunkler Nacht zu betrachten. Heute hatte sie einer sterbenden alten Dame die Hand gehalten und ein entspanntes Lächeln auf einem runzeligen und von schwerer Krankheit gezeichnetem Gesicht entdeckt. Hatte minutenlang einem Menschen gegenüber gestanden, der sich im Einklang mit sich selbst und seinem Schöpfer befand und bereit war die Reise ins Ewige anzutreten. Manche Freunde und Bekannten verstanden nicht, wie sie diesen harten Beruf aushalten konnte und warum ihr die Arbeit im Krankenhaus so viel Freude bereitete. Sie vermochte es nicht zu erklären. In ihr ruhte eine klare Energie, die sich auf alle Anwesenden auswirkte, und wie eine Schamanin besaß sie in ihren jungen Jahren eine heilende Kraft. Sie vermochte die Seelen, der vom schweren Leid Gezeichneten erheben und Reserven an Mut und Hoffnung freisetzen, die fast an das Übernatürliche grenzten. Selbst in hoffnungslosen Lagen und in Momenten, in denen das Unheil nicht mehr aufzuhalten war und das einsame Sterben und stille Dahinsiechen begann.

Liebe war eine Himmelskraft und der Glaube an Gott, der gerade Weg im Dschungel der Ereignisse und der erhebende Moment im alltäglichen Trott. Entweder befand man sich in dem göttlichen Element, das alles am Leben erhält und zu seiner Vollendung führt oder stand völlig hilflos daneben. Es gab keinen Kompromiss im Dazwischen sondern nur eine Entscheidung für die eine von beiden Seiten. Im günstigsten Fall fielen dabei die treibenden Kräfte Herz, Verstand und Gewissen zu gleichen Teilen zusammen. Die Drei war eine heilige Zahl und trug alles Leben auf Erden einer Zukunft entgegen, die in Gottes Händen geborgen war.

Schon lange als Lisa sich schlafen gelegt hatte und in tiefe Träume gefallen war, hörte sie von irgendwo her ein fremdes Lied. Es war der Tempelgesang der Priester in Ganamo, die für die Erleuchtung der Menschen beteten und vor dem Zerfall des Planeten warnten, der sich schneller als ein Atom in alle seine einzelnen Teile aufzulösen begann. Nicht nur das Schwinden der natürlichen Ressourcen war gravierend, sondern auch das langsame Zerbrechen des menschlichen Herzens und die zunehmende Verwirrung des Geistes waren nicht mehr aufzuhalten. Nur die Gebete der Heiligen hielten noch am Leben, was Gottes Weisheit in seine wunderbare Schöpfung hineingelegt hatte und die frommen Seelen fügten die einzelnen Bestandteile wieder zu einem Ganzen zusammen, so dass der Plan des Ewigen wieder darin zu erkennen war.

Das Universum mit seinen unendlichen Weiten und endlosen Fernen

Sie besaß kein Bewusstsein und war auch nicht in der Lage sich selbst zu reflektieren. In diesem Sinn war die dunkle Energie bloße Existenz, ohne wirklich zu leben. Wie ein Schwamm nahm sie negative Strömungen in sich auf und beseeltes Wesen von vollendetem Zerstörungsdrang. Wer immer mit ihr in Berührung kam, wurde im Laufe der Zeit von innen her zerfressen und im wahrsten Sinn des Wortes von einer verrückten Idee oder nicht zu verwirklichendem Ideal besessen. Der unheimliche Schatten, der durch die Universen schwamm, nahm keine Notiz davon und wusste nichts von dem Schaden den seine graue Exzellenz, wie ihn die Eingeweihten nannten, hinterließ.

Die Dichte und Fülle, die dunkle Energie besaß, war im gewissen Sinn ein satanisches Kleid. Unmöglich all die bösen Absichten, hinterlistigen Ideen und niederträchtigen Gedanken zu beschreiben, die in jedem Menschen eine ganz individuelle Gestalt annahmen. Ein Kunstwerk in den Augen des Bösen und der Welten Niedergang in den Augen der Menschen, die mit dem zweiten Gesicht begnadet waren.

Ganamo, ein einsam gelegener Ort in der Antarktis

Die Ältesten, die Weisen und die Schamanen in Ganamo hatten sich in einen Kreis zusammengesetzt und hielten sich an den Hände fest. Die Heilerinnen und Seherinnen hatten zu der rituellen Zeremonie die Räucherschalen aufgestellt, denen ein sanfter und betörender Duft entstieg und die Menschen in dem kleinen Raum umhüllte.

„Wir rufen an die Geister des Windes, des Wassers und des Feuers. Wir bitten die Götter des Meeres, der Erde und des Himmels. Erhört unsere Gebete und vernehmt unseren flehentlichen Gesang aus der Tiefe des Herzens“, stimmten die Anwesenden ein uraltes Lied ihrer Vorfahren an. Dunkle Energie vermochte niemand aufhalten und man konnte auch nicht gegen sie ankämpfen. Sie musste verwandelt werden in langen und aufwendigen Verfahren. Da sie immaterieller Natur war lag dieser Prozess der seelischen Heilung und geistigen Genesung im Menschen selbst verborgen. In aller erster Linie kämpfte der eigene Wille gegen diese Wogen einer grauen Exzellenz an, die sich immer an das niedere Ich wendete und das höhere Wollen im Menschen geflissentlich übersah.

„Das Lächeln auf den Lippen der Blätter und die Ruhe in dem Rauschen des Regens erhalten unsere Herzen gesund,“ murmelte leise der Priester Rastuka vor sich hin. „Uum“, stimmten andere Stimmen mit ein und von irgendwo her erklang ein heller Gesang, gleich einer jungen Mädchenstimme. Es war Mirunama die Gedanken preis gab, die aus dem tiefen Brunnen der guten Mutter Erde aus ihrem Munde drangen.

„Ruhen wir in den Armen des Schöpfers werden die Wogen des Unheils vorüberziehen und wenn nicht, werden sie unsere Schwellen überschreiten, um all unser gewohntes Denken, Handeln und Fühlen auf den Kopf stellen. So lasst uns die Lage des Lebens neu überdenken und zu dem Ursprung allen Seins zurückkehren. In dem Frieden, in der Liebe und in der Freude liegen wunderbare Kräfte verborgen, um alle Entwicklungen im rechten Sinn voranzutreiben und mit der Zeit auch in einem höheren Sinn zu vollenden. Wenn man sie denn gewähren lässt und als das betrachtet, was sie von alters her schon immer gewesen ist. Ein himmlisches Geschenk.“

„Uum“ ertönte wiederum aus dem Hintergrund ein rauer Männerchor und eine wohltuende Stille breitete sich in einem Nu über alle Anwesenden aus. Eine Ruhe, die nur das ewig Währende kennt.

München im Süden von Deutschland

Lisa spazierte mit ihrem Freund Michael in einem weit ausufernden Park am Stadtrand und fütterte kecke Eichhörnchen mit Nüssen. Der Professor für Archäologie und altertümliche Forschungen nahm das bezauberndes Lächeln auf dem rundlich wirkenden Gesicht seiner Geliebten wahr und dankte mehr als einmal seinem Schöpfer von Himmel und Erde, dass er einem Menschen wie ihr begegnet war. Diese Frau wurde anderen zum Segen und alles in ihrem bescheidenem Auftreten und einfachen Gebaren erschien ihm wunderbar. Sie hatten sich auf eine kleine Holzbank gesetzt und betrachteten ruhig die zahlreichen Besucher an diesem schönen Sommertag.

„Erzähle mir doch etwas von deinem Trip in den hohen Norden,“ forderte Lisa ihn unvermutet auf und der gediegene Mann störte sich nicht an der saloppen Art ihre Gedanken zu formulieren.

„Wir stießen mit unserem Team nach langer Fahrt durch das Eismeer auf eine fast unberührte Landschaft, in der es noch zahlreiche Robben, Eisbären und Pinguine gab und nach langem Suchen fanden wir ein paar antike Skulpturen. Sie passten in etwa in die kräftige Hand eines Mannes hinein und es war schwer auf Anhieb ihr Herkunft zu bestimmen, noch eine Angabe über ihr Entstehungsgeschichte zu machen. Sie erwärmten sich, wenn man sie berührte und das seltsame war, dass egal in welche Richtung man sie drehte, ihre weit geöffneten Augen immer in Richtung des Lichtes zu blicken schienen.“

Lisa war hingerissen von der Geschichte und wagte kaum zu atmen, geschweige denn weitere Fragen zu stellen. Michael blickte in den Himmel, der wolkenlos über ihnen stand und blinzelte mit den Augen. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass er versuchte sich zu konzentrieren, um den Gegenstand seiner Betrachtungen annähernd verständlich zu formulieren.

„Ich weiß nicht was geschah. Nach einer Weile lösten sich die kleine Schar aus Stein geformter Menschen auf und verschwanden ins Nichts.“ Der gestandene Mann machte bei dieser so ungewöhnlichen Aussage ein erstauntes Gesicht.

Lisa stieß einen markanten Pfiff aus und versuchte sich eine eigene Erklärung für das Geschehen zusammen zu basteln. Mit der einen Hand strich sie sich durch das leicht gewellte schulterlange Haar mit der anderen Hand ergriff sie die schweren Pranken ihres Freundes. Sofort spürte Michael wie ihn ein wunderbarer Strom ergriff und in seiner Seele ein unsichtbarer Garten zu wachsen und zu gedeihen begann.

„In gewissem Sinn war unsere Fahrt umsonst gewesen und wir haben das Projekt in den Sand gesetzt“, setzte er seinen Gedankengang fort. „Doch als Wissenschaftler an den ehrwürdigen Universitäten unseres Landes wage ich einfach zu behaupten, dass wir am Wendepunkt all unserer geschichtlichen Betrachtungen stehen. Es muss ein Volk auf Erden gegeben haben, dass vor langer Zeit in dieser unwirtlichen Gegend sein Ende fand und über Gaben und Fähigkeiten verfügte, die das menschliche Wissen bei weitem übersteigen. Möglicherweise hatten sie sogar Kontakt zu Außerirdischen gehabt.“

Lisas schien bei dieser Erzählung wie von innen her zu leuchten, als hätte sie eine Botschaft aus unbekannter Ferne erhalten, die ganz allein für sie bestimmt war und deren mysteriösen Pfaden es weiterhin zu folgen galt.

„Vielleicht hat dieses Volk den eigenen Untergang vorhergesehen und es vorgezogen sich seine persönliche Identität zu bewahren, anstatt sich von den zeitgenössischen Entwicklungen überrollen zu lassen. Manche von Gott geschaffene Dinge müssen untergehen, um in einem neuen Rahmen und unter anderen Bedingungen eine Lebensform zu erhalten, die ihren wahren Sein entspricht. Sie hinführt zu einem Selbst, dass ihrer seit Urzeiten vorhergesagten Bestimmung auch wirklich entspricht.“

Lisa sprach solche Sätze mit einer Leichtigkeit aus, wie andere Menschen sich über Kochrezepte austauschten oder über den neusten Trend in der Mode. Michael nahm sie liebevoll in den Arm und drückte sie ganz fest an sich. Sanft küsste er ihr fein glänzendes blondes Haar und sann verträumt vor sich hin.

„Erkläre das einmal einem Gelehrten. Und wie willst du mit einer Theorie Geld verdienen, die im Grunde genommen dafür spricht, dass diese seltsamen Menschen möglicherweise diese Erde schon vor langer Zeit verlassen haben und wir aller Wahrscheinlichkeit nach keine Spur mehr von ihnen finden werden?“ Die beiden kuschelten sich eng aneinander, froh darüber ein Geheimnis in ihrem Herzen aufzubewahren, das sie bis an das Ende aller Zeiten fester aneinander binden würde, als Ketten aus Stahl oder ein voluminöser Berg aus Gold.

Als sie müde und hungrig am späten Abend in ein chinesisches Restaurant einkehrten, um sich an dem guten Geschmack der asiatischen Küche zu erfreuen, fühlte sich das Paar für einen Augenblick von aller Weltenlast befreit und tief in der Seele wunderbar entspannt und gut aufgehoben. Noch gab es die Fülle der Zeit, und sie würden es nicht versäumen, sie bis in frühen Morgenstunden hinein auszukosten und auf allen Ebenen zu durchleben. In dem Körper, im Geist und in der Seele. In der heiligen Zahl drei, die sich in der höheren Mathematik aus den Komponenten eins plus eins ergibt.

Bildquelle: (c) DA

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