Novelle

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Mission Impossible und Herr Zabelka

Von Ulf Großmann.

Zabelka musste raus. In der Wohnung war es nicht sicherer als draußen. Die Dienste und Gesellschaften hatten seine Spur verfolgt. Unmöglich, ihnen zu entkommen. Doch das Unmögliche war möglich, wusste er. Die Survival-Intelligenz und seine Erfahrung waren mit ihm.

Er verließ das Haus, bereit zum Handeln.

Vor der Tür Uhrenvergleich mit der gefühlten Zeit. Yes. Punkt neun lief er los. Zabelka ging seinen Weg.

Mission Impossible, dachte er, Mission Impossible.

Die Schritte, klein und hektisch, tanzten ihre eigene Choreografie, hüpften ohne festen Rhythmus über das Straßenpflaster. Sie wirkten konfus wie seine Blicke, die die Umgebung scannten. Doch er registrierte alles, der Gang war berechnend, Fluchtbewegungen aus dem Lauf heraus sofort möglich.

Zabelka hatte die kurzen Hosen verkehrt herum an, so dass die zwei Hosentaschen von hinten wie Ohren wirkten, die von seinen Hüften hingen und beim Laufen wackelten.

Vorsicht. Er durfte sich nicht sicher fühlen. Nicht einmal bei den normalsten Verrichtungen. Überall Augen und Ohren.

Die Gegner waren Profis.

Seit wann verfolgen sie mich? überlegte Zabelka. Begonnen hatte es, als er ihre Nachrichten im Fernsehen entschlüsselte. Er wollte diesen Krieg nicht und hatte den Fernsehapparat aus dem Fenster geschmissen. Dann kamen die Meldungen im Radio und in den Zeitungen. Er hatte bemerkt, dass sie begriffen, dass er sie erkannte.

Der Kampf begann. Ab und an hatte er Kontakt mit Verbündeten aufnehmen können, oder die hatten ihn kontaktiert. Am Telefon mit ausgeklügelten Tutzeichen und über das Radio meldeten sich seine Leute. In die Presse schmuggelten sie, versteckt bei den Kleinanzeigen, Nachrichten. Die waren die Guten. Er war in den Dienst der Organisation gegen die Weltvernichter aufgenommen worden.

In letzter Zeit war die Verbindung fast gänzlich abgebrochen. Der Endkampf stand bevor.

Halt! Das Hirn gab den Befehl, die Vorwärtsbewegung abrupt einzustellen. Zabelkas Beine stoppten, schlugen den berühmten Zabelkahaken hinter eine Litfaßsäule. Der Oberkörper folgte, verschwand als Nächstes, dann der Rest.

Als Erstes ließ Zabelka seinen Kopf wieder erscheinen. Die Augen flackerten. Versuchten, sich auf jede Bewegung und Nichtbewegung zu konzentrieren.

Das Vogelgezwitscher war nur taktische Ablenkung. Unterschwellig surrte das Gebäude an der nächsten Straßenecke. War es gestern da gewesen? überlegte Zabelka. Wer baut so etwas über Nacht? Beobachteten ihn Kameras aus den Fenstern und Scharten? Clever waren die. Das Haus wirkte so alt und baufällig, dass es anderen nicht als Neubau aufgefallen wäre. Zabelka hatte den Blick für solche Dinge entwickelt. Seit sie ihn verfolgten und er ihnen immer wieder entkam.

Auch jetzt würde er es schaffen. Die Pläne dazu salutierten in seinem Kopf. Bereit Sir, sagte er.

Zabelka rannte über die Straße, sprang in einen Hauseingang. Er kannte die Gegend wie seine Westentasche. Das bedeutete viel. Er konnte das Ergebnis jedes Griffs in seine Westentaschen antizipieren. Jahrzehnte wohnte er hier, besaß die Weste seit der Geburt. Zumindest wusste er keinen späteren Zeitpunkt. Sie begleitete ihn seit er denken konnte. Es musste die Geburt sein. Damals hatte man ihn ausgewählt.

Auf der Vorderseite unten hatte die Weste zwei kleine Taschen, rechts die Taschenuhr an der Kette, links das rote Taschenmesser mit Büchsenöffner. Survival. Die beiden oberen Taschen enthielten die Sonnenbrille und Pflaster, eine Elastikbinde und Kalorien. Nein. Zurzeit gab es keinen kalorienreichen Riegel. Er musste sich wieder welche besorgen. Die Ausrüstung aufrüsten.

Im Hausflur war es ruhig. Zabelka nahm die Treppe in den Keller. Durch die Gänge gelangte er ins nächste Haus. Zwei Fallen wich er geschickt aus. Wieder die Treppe hinauf, dann zum Hinterausgang. Entkommen! Er sah aus der kleinen Holztür. Seine Blicke suchten die Straße ab. Er atmete auf. Alles sauber. Alles sauber? Vorsichtig bleiben, mahnte er sich. Seine Nahrungsbeschaffung wollte er nicht mit dem Leben bezahlen. Die großen Supermärkte mied er schon lange. Dort filmten sie ihn aus den Regalen, beobachteten ihn mit an der Decke angebrachten Riesenspiegeln. Er lachte auf. Sie konnten lange auf ihn warten. Sein Essen besorgte er sich in den kleinen unscheinbaren Läden. Aber auch das war nicht ungefährlich.

Der Bäckerladen wirkte bedrohlich. Zabelkas Augen verengten sich zu Schlitzen. Durch das Schaufenster konnte er die hübsche Blondine sehen. Die Gegner kannten seine Schwächen. Diese Frau hätte er früher angemacht. Heute nicht mehr. Sein Instinkt klopfte ihm auf den Kopf. Hier stimmte etwas nicht. Die Blonde hatte das menschenähnlichste Lächeln, das er je bei einem Automaten von denen registriert hatte. Ihn täuschten sie nicht. Auch nicht mit dem Brötchen-Verkäuferin-Trick.

Zabelka fasste sich an den Bauch. Er hatte seit drei Tagen nichts gegessen. Doch hier war das Risiko zu groß. Langsam lief er, wie beiläufig, zur Telefonzelle. Beobachtete die Straße, Pflasterstein für Pflasterstein aus den Augenwinkeln.

Zabelka nahm den Hörer. Ein unbedeutendes Tuten. Er wählte fünfmal die null. Sie meldeten sich nicht. Die Verbindungen zu seinen Leuten waren gekappt. Also weiter. Irgendwann würde er wieder Fühlung zu den Gefolgsmännern bekommen.

Der Zeitungsverkäufer schien suspekt. Der sah ihn so seltsam von unten her an. Geheimdienst? Welcher?

Ihn, Zabelka, umzubringen wäre für jene ein Lottogewinn. Doch ihnen fehlte die Zusatzzahl. Er war bisher der Überlebende aller Showdown-Western-Situationen gewesen.

Bereit Sir, sagte Zabelka und lief weiter. Er beobachtete den Zeitungsverkäufer aus einiger Entfernung, nutzte eine alte Eiche als Deckung. Lächelte. Nein, nicht mit ihm. Zabelka würde eine Zeitung aus den Briefkästen im Haus angeln. Das war sicherer. Auf die Presse konnte er nicht verzichten. In den Anzeigen standen die Nachrichten, die es zu dechiffrieren galt.

Er musste nach Hause. Morgen würde er sich Essen beschaffen. Vor allem Fleisch. Ja, Eiweiß und Fette. Und Trinkwasser. Er traute dem Wasser aus dem Hahn nicht. Sie gaben Stoffe bei, die auch das Kochen nicht neutralisieren konnte.

Zabelka lief weiter.

Im Haus gähnten ihn leere Briefkästen an. Sie hatten die Zeitungen schon geholt. Er würde die von gestern noch einmal durchgehen. Zabelka drückte sich an die Wand, glitt langsam und leise die Treppe hinauf. Keep cool, dachte er.

Schweißgebadet kam er in seiner Wohnung an. Er stieß die Tür zu und schloss ab. Vorsichtig kontrollierte er die Zimmer. Niemand hinter den Schränken oder unter dem Bett. Er hatte Angst. Das gab er zu. Sie saß in seinem Nacken. Zabelka schüttelte sich, kratzte sich. Sie durften die Angst nicht bemerken.

Er schlich ins Bad, um dort, sicher vor den Abhörvorrichtungen, die latente Verzweiflung herauszuschreien. Das kalt flackernde Licht der Neonröhre ließ ihn blinzeln. Mit der linken Hand drückte er die Toilettenspülung, mit der rechten drehte er den Wasserhahn bis zum Anschlag auf. Dann schrie er.

Das half. Ihm ging es besser. Sein Denken ordnete sich und die Angst wich seiner Vernunft, die ihn für seine Feinde zu dem gefährlichen Gegner machte. Dem Gegner, den sie bis heute nicht fassen und eleminieren konnten. Das Rauschen der Spülung verklang. Zabelka drehte den Wasserhahn zu. Er löschte das Licht, öffnete vorsichtig die Badezimmertür. Alles in Ordnung.

Mit ausholenden Schritten ging er ins Schlafzimmer.

Er legte sich aufs Bett. Sollten die ruhig glauben, dass er schlief. Zabelka beobachtete aus den Augenschlitzen die Decke und bereitete gedanklich seine Flucht vor. Die täuschend echten Schnarchgeräusche, die er dabei von sich gab, würden den Feind unter Umständen anlocken. Zabelka war vorbereitet. Unter seinem Kopfkissen lagen eine Pistole, ein Messer und eine Zyankalikapsel.

Ja, Zabelka ist bereit, dachte er.

Im nächsten Moment war es soweit. Der Ernstfall. Es knackte an der Tür.

Zabelka-Power, flüsterte er und sprang auf, griff unter das Kopfkissen. Er warf das Messer. Die Pistole versagte. Nicht lebend, dachte er. Die Zyankalikapsel schmeckte nach Traubenzucker.

Zabelka wurde ohnmächtig.

Er erwachte neben seinem Bett. Sie mussten ihn in der Wohnung eingeschlossen haben.

Langsam stand er auf und sah sich im Zimmer um. Wenn er die Klinke herunterdrücken würde, dann kämen sie mit dem Wahrheitsserum und würden es ihm spritzen. Nein! Sie sollten glauben, dass das Zyankali ihn umgebracht hätte. Er hatte überlebt, sie erneut reingelegt. Er hatte es wieder geschafft. The winner is …

Es ging weiter. Mission Impossible. Jedes Geräusch vermeidend öffnete er das Fenster. Behände befestigte er die Leine am Heizungsrohr und legte sich die Schlinge zur Sicherung um den Brustkorb. Es konnte nichts schief gehen.

Halt! Er hatte das Messer liegen lassen. Er zog seine Arme durch die Schlinge. Da knackte es im Zimmer, knackte es an der Tür. Sie kamen.

Er hatte die Schlinge gerade um den Hals. Egal. Er ließ sich über das Fensterbrett ins Freie gleiten. Er würde sich jetzt langsam abseilen.

Bildquelle: (c) DA

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