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Tote Körper sind kleiner

Von Susanne Sophie Schmalwieser.

Kein Platz mehr.

Habe keinen Platz mehr.

Keinen Platz mehr für zu viel.

Worte sind: Zu viel. Spucke sie heraus.

Das Radio singt sentimentales Spanisch, das wir nicht verstehen. Der Text muss wohl fröhlich sein.

Sitzen draußen und lachen, weil unsere Augen alleine zu klein sind, für die Tränen. Sind gerade auch noch drinnen gesessen.

Drinnen atmet die Pumpe und der Körper zittert im Takt. Seine Hände sind noch braun und warm. Die Wangen hell rasiert. Ganz routiniert. Aus dem Leben gerissen wirke nur ich: Zum ersten Mal seit Jahren nicht manikürt.

Vater weint wie eine Frau; ist niemals tapfererer Mann gewesen.

Nasen, Münder, Rücken, Bäuche weinen.

Augen schauen; schauen sich ähnlich. Grau in grün. Vatersaugen.

Vatersfinger. Vatersnasen. Vatersneugier. Will alles wissen; um zu begreifen, ist es zu spät. Die Zeit vergeht erst dann, wenn es zu spät ist.

Vater, Sohn und Enkelin im Händedreieck. Bloß drücken kann der Alte nicht mehr; seine Erstgeborenen tun es fest.

Ein Soldat ist er gewesen und Soldaten sind sie.

Eine Seltsamkeit, wie wir uns immer dann treffen, wenn jemand stirbt.

Um uns: Weiße Schläuche, Monitore, Spritzen, etc.

Weinende Hände verstecken Gesichter.

Gestern noch haben wir einen Kunstfilm gesehen.

Drei weiße Fahnen wehen; uns reicht man weiße Taschentücher.

Wäre momentan gerne der Erstgeborene – nicht DIE.

Großvater wird nach der Hoffnung sterben; danach muss Großmutter zur Frau werden und vergisst, dass ihr die Zigarette schon so lange nicht mehr schmeckt.

Ein Kind schreit um sein Leben.

Eine Alte macht am Gehstock zweite erste Schritte.

Alle Uhren ticken im Takt; die Zeit vergeht erst, wenn man keine hat.

Er riecht nach ihm selbst. Sein würdiger Körper liegt klein in Decken; nur tote Körper sind kleiner.

Sein Abbild riecht nach Tabak und schmiert Marmelade auf das Käsebrot.

Will seine Haare richten, zwecks Restwürde.

Sitze zwischen Senior und Sohn, denkend. Künstlerische Romantik des Leidens. Habe dafür keinen Platz mehr; das schwarze Kleid riecht noch nach Wäscherei.

Im Leben kann dir nichts passieren, bis auf den Tod eines anderen.

Kochsalzlösung und Nasenschlauch und Schmerzmittel.

Entwürdigend ist nicht die Krankheit; entwürdigend ist der Kampf, den wir schon für beendet erklären. Gut, dass würde egal ist.

Uns kann nichts passieren, bis auf den Tod eines Geliebten.

Eine Seltsamkeit, wie wir uns erst in der Not gern zu haben wissen.

Wangenküsse; habe geübt, zu trösten.

Juniluft.

Nach allem, was ich weiß, könnte es gut die schönste Nacht der Welt sein.

Bildquelle: (c) DA

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