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Zum Falle eines Spiegels, der nichts erwidert

Von Julia Hoch.

Ich reiße den Duschvorhang zur Seite, der Raum ist angefüllt mit heißem Nebel. Meine Haut glüht. Ich steige über den Wannenrand, rutsche ein wenig weg, was meinem Herzen einen ruckelnden Sprung verpasst, kann mich aber gerade noch fangen.

Der Fliesenboden, die Wände, die glatten Gegenstände sind mit einem Feuchtigkeitsfilm überzogen, der allem einen dumpfen, verschleiernden Anschein verleiht. Ich greife nach dem Handtuch, trockne meine Arme, meinen Oberkörper, dann die Beine und rubble die Haare ab. Danach schlinge ich das Handtuch um mich herum und stecke einen Zipfel befestigend unter die Stoffbahn. Die warme Feuchtigkeit durchdringt das Gewebe, lässt es allmählich gefügiger werden.

Er stieg mit sportlichem Schwung vom Fahrrad, schob es zur Hauswand und lehnte es dort an. Der nächste Stuhl sollte es sein, auf dem er sich niederließ und genüsslich in die Sonne blickte. Umgehend tänzelte die Kellnerin mit schwingenden Hüften auf ihn zu und erkundigte sich strahlenden Gesichtes nach seinem Wunsch.

Ich drehe mich um, gehe drei Schritte und öffne das Fenster, um die Schwaden zu entlassen.

Sie ziehen jedoch nicht hinaus, wirbeln nur leicht vor dem Fensterrahmen umher und kehren wieder in das Zimmerinnere zurück.

Draußen herrscht eine noch undurchdringliche Nebelsuppe, es ist nicht weit zu blicken. Eigentlich sieht man nichts. Heißer Dunst und kühler Nebel wollen sich nicht vereinigen.

Ich bin wie isoliert vom Rest der Welt.

Verfallen.

Der Spiegel ist beschlagen.

Meine Handfläche streicht über die glatte Oberfläche, es entstehen dabei kleine Wasserperlen, doch das trübe Bild, das nur eine ovale Silhouette zeigt, die Existenz eines Menschen nur erahnen lässt, bleibt bestehen.

Ich reibe mit der Handkante von oben nach unten, von unten nach oben. Zickzack.

Ich nehme ein weiteres Handtuch vom Haken, falte es einmal zusammen und fahre von links nach rechts über das Spiegelglas. Der Stoff nimmt die zurückgebliebenen Tropfen sofort auf, ist aber nicht in der Lage, den Schleier von der Scheibe zu entfernen.

Sie bleibt trüb und erwidert nichts.

Ich knülle das Handtuch zusammen, prüfe das Knäuel auf eine noch trockene Stelle, drücke diese auf den Spiegel und poliere ihn nun in schnell rotierenden Kreisen.

Nichts.

Ich schleudere das Handtuch in die Zimmerecke.

Er öffnete die Plastikkapsel und beförderte den cremigen Inhalt in seine Tasse. Dann riss er das Papierröhrchen an einer Seite auf und ließ die weißen Kristalle in das braunweiße, noch nicht gänzlich verbundene, Gemisch hineinrieseln, rührte einige Runden mit dem Löffel und setzte das Porzellan an seine Lippen. Bevor er einen Schluck trank, atmete er den Duft des Heißgetränks tief ein. Die Kellnerin beobachtete ihn mit sehnsuchtsvollem Blick durch die spiegelnden Glasscheiben des Cafés.

Der Haartrockner muss helfen. Ich nehme ihn vom Regal, verbinde den Stecker mit Strom, schalte ihn ein. Kein Ton entweicht dem Gerät.

Nichts.

Wild klackere ich nun mit dem Daumen auf dem Schalter herum. Doch nichts tut sich.

Ich ziehe den Stecker ab, warte einige Sekunden und bringe ihn dann erneut in die Dose.

Fön einschalten. Nichts tut sich.

Nichts.

Ich reiße am Kabel, der Stecker schleudert mir ins Gesicht.

Dem Gefallen verfallen,

gen gestiegener Fallzahl,

gen gehobenem Gefälle,

gefällt, gefällt, gefällt, gefälligst.

Bruchstücke schwarzen Plastiks liegen um das in die Ecke geschleuderte Handtuch herum.

„Was ist hier los?“ Ich seufze.

Der Spiegel gibt keine Antwort. Kein Erwidern.

Ich beuge mich mit abgestützten Händen über das Waschbecken, atme tief durch.

Der Spiegel muss mein Antlitz preisgeben.

Erneutes Reiben auf dem Glas.

Hin und her. Her und hin.

Schnell. Schneller. Am schnellsten.

Eine kurze Zeit nachdem er seine Tasse geleert hatte, kam die Kellnerin flinken Fußes und breitesten Lächelns noch einmal auf ihn zu und fragte nach einer weiteren Bestellung. Jedoch gab er keine auf. Er drückte ihr einige Münzen in die Hand und beteuerte, dass er wunschlos war. Eine Münze fiel ihr auf den Boden.

Ich fühle ein stechendes Pochen an meinem Wangenknochen. Vorsichtig betasten meine Fingerkuppen die pulsierende Haut. Ich blicke auf die Finger, stelle aber keine Farbveränderung fest. Kein Blut. Nur Schmerz.

Mein Magen krampft, die Säure wälzt sich wie eine tobende Sturmflut in ihm umher. Die Dämme halten.

Erneut prüfe ich den Spiegel.

Keine Offenbarung.

Nichts.

Ich schließe die Augen, bete, hoffe auf Veränderung.

Es brodelt in mir.

Ich reiße die Augenlider weit empor.

„Ich muss mich sehen! Ich muss, ich will! Bitte!!!“

Meine Wörter vermengen sich zu einem schrillen Schrei.

Die Hand ballt sich zur Faust.

Krck.

Am Gipfel befallener Fälle,

gegebenenfalls die Falle

den Befallenen fällt,

gefälligst, gefälligst, gefallen.

Dieses schneidende Ziehen in den Fingerknöcheln. Drei von ihnen sind nun Quellen roter, anschwellender Flüsse, die sich die Klippe hinunterstürzen und den Mikrokosmos des Badezimmerbodens überfluten. Das Rot wallt über am Boden liegende Haare, Flusen und Staubpartikel. Ein See entsteht.

Ich schwanke zum offenen Fenster, strecke die Hände zitternd nach draußen und lege meine Unterarme auf dem Fensterrahmen ab.

Weinen.

Wimmern.

Winseln.

Eine Quelle versiegt.

Die beiden anderen lassen weiterhin ihre Flüssigkeit in die Tiefe niedergehen, doch diesmal ohne klares Ziel, ohne mögliche Hoffnung auf eine Vereinigung am Ende des Weges. Das Rot verliert sich im freien Fall.

Kein Geräusch.

Nebel.

Er stand auf, stieg auf sein Fahrrad und radelte davon. Die Kellnerin seufzte. Sie hätte ihm wohl gerne gefallen.

Eine Krähe schießt mit ausgestreckten Klauen aus dem Dunst heraus. Auf mich zu. Sie verfehlt meine Arme, knallt dumpf an die Hauswand und fällt. Fällt. Fällt.

Magensäure steigt meine Kehle hinauf. Die Dämme brechen. Gekrümmt hieve ich meinen Körper zur Toilette.

Mir wird schwindelig, schwummerig, schwarz.

Mein Kreislauf verweigert den Gehorsam.

Der Versuch, mich am Toilettenporzellan abzustützen, schlägt fehl – meine Hände sind kraftlos, zitternd und glitschig.

Gurgelnd falle ich mit Schläfe und Wange in ein funkelndes, scharfes, knackendes Mosaik.

Warm umströmt.

Wer war ich? Wer bin ich? Werde ich sein?

Unter fälligem Zufall

In Falltür gefallen,

Verfallener fallen gelassen,

gefallen, zerfallen.

Bildquelle: (c) DA

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